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eine prinzipielle Gleichheit der Menschen in ihren Anlagen und Trieben bestehe. Denn ich beurteile ja den anderen nur auf Grund der Kenntnis, die ich von mir selbst habe. Für jeden einzelnen Menschen ist denn auch nur eine begrenzte Summe von Glück erreichbar, und gleiche Quantitäten von Arbeit haben zu allen Zeiten und zu allen Orten einen gleichen Wert für den Arbeiter 68). Die tieferen Unterschiede zwischen den Menschen werden erst durch die Arbeitsteilung geschaffen 69).

Auch die sittliche Beurteilung unserer eigenen Handlungen beruht schliesslich auf einer durch die Sympathie vermittelten Bewertung der eigenen Affekte nach Analogie der Bewertung fremder:,,When I endeavour to examine my own conduct, when endeavour to pass sentence upon it, and either to approve or condemn it, it is evident that in all such cases I divide myself, as it were into two persons, and that J, the examiner and judge, represent a different character form that other J, the person, whose conduct is examined into and jugded of 70)." Diese Spaltung des Ichs in ein handelndes Objekt und ein beurteilendes Subjekt ist ungemein bezeichnend für den durchaus individualistischen Charakter dieser Gefühlsmoral, welche die Massstäbe für die sittliche Beurteilung keiner fremden oder aprioristischen Norm, sondern durchaus nur dem eigenen Gefühle entlehnen will.

Indem sich nun der Mensch von diesem sein Verhalten bestimmenden Sympathiegefühle leiten lässt, erfüllt er, ohne es zu wissen oder zu wollen, den Plan der göttlichen Vorsehung, die darauf gerichtet ist, die grösstmögliche Summe von Glück in der Welt zu schaffen 71). So sind Ziel und Zweck der Welt individualistisch bestimmt; das Sittliche fällt mit dem indivi

approve or disapprove of, and, by induction from this experience, we establish those general rules." (Moral Sentiments Part VI. Sect 3. Ch. 2 p. 397). Ähnlich ebda. p. 224. Vgl. auch Jodl, Gesch. der Ethik I. S. 368 fg. 68) Vgl. Wealth of Nations I. Kap. 5.

69) Ebda. I. Kap. 2.

70) Moral Sentiments Part III Ch. 2 p. 202.

71) The happiness of mankind, as well as of all other rational creatures, seems to have been the original purpose intended by the author of Nature, when he brougth them into existence (Moral Sentim. Part III Chap. 3 p. 237).

duell Nützlichen zusammen; das letztere ergibt sich als Konsequenz des wahrhaft sittlichen Handelns, der tiefe Gegensatz, den die kirchliche Lehre zwischen diesen beiden Kategorien angenommen und dessen Überwindung die Vernunftlehre vergeblich versucht hatte, ist damit beseitigt 72). Nicht mit Unrecht hat Elie Halévy 73) diese Auffassung als den Versuch einer Anwendung Newtonscher Prinzipien auf das politische und moralische Leben bezeichnet.

Das universalistische Problem der Erhaltung der Gattung erklärt Smith restlos aus der Wirksamkeit der individuellen Triebe 74); und auch die Herstellung der Harmonie zwischen den Interessen der Individuen und jenen des Kollektivums, dieser Prozess, den die frühere rationalistische Auffassung auf eine bewusste Tätigkeit der Vernunft zurückgeführt hatte, wird völlig in den Bereich des Unbewussten, in den göttlichen Weltplan verlegt. Mit aller Klarheit betont Smith selbst diesen Unterschied zwischen einer kollektivistischen und einer individualistischen Begründung des sozialen Lebens 75). Wir sind, so meint er, bei Betrachtung geistiger Vorgänge nur allzu geneigt, die wirkende Ursache mit dem Endzwecke zu verwechseln. Wenn wir auf natürlichem Wege zu einem Ziele gelangten, zu dem uns unsere erleuchtete und geschulte Vernunft geführt hat, so schreiben wir unserem Verstande als einer ausreichenden Ursache sowohl diesen Erfolg als die Handlungen und die Gefühle zu, die uns geleitet haben, und wir messen der Weisheit der Menschen bei, was in Wahrheit aus der Weisheit Gottes stammt. Da die menschliche Gesellschaft ohne Beobachtung der Gesetze der Gerechtigkeit nicht bestehen, da keine soziale Beziehung sich entwickeln kann, ohne dass die Menschen einer gegenseitigen Schädigung sich enthalten, so erklärt man diese Erwägungen für das wahre Motiv der Billigung, welche die Be

72) Vgl. Hasbach, Untersuchungen über Adam Smith S. 9 und 105. 73) Halévy, La formation du radicalisme philosophique I. p. 4.

74) Die Erhaltung der Gattung, dieser grosse Endzweck der Natur bleibt keineswegs den schwankenden und unbestimmten Entschliessungen unserer Vernunft überlassen. Ohne dass wir es wissen oder wollen, stehen vielmehr unsere Triebe im Dienste dieser göttlichen Absicht (Moral Sent I. § 125). 75) Moral Sent. II Sect II ch. 3 p. 151.

strafung der Ungerechtigkeit erfährt. Aber zahlreiche Beobachtungen zeigen, dass es nicht das allgemeine Interesse der Gesellschaft ist, das uns eine Ahndung der Verbrechen wünschenswert erscheinen lässt. Unser Anteil an dem Wohl und Wehe der Individuen stammt in der Regel nicht von dem Anteil, den wir an dem Wohle des sozialen Körpers nehmen. Im Gegenteil, wir sorgen für die Gesamtheit nur infolge des Interesses für die einzelnen Teile, aus denen sie zusammengesetzt ist. Es gibt wohl einzelne Fälle, in denen wir strafen oder Strafen billigen, bloss aus Gründen der sozialen Ordnung, die sonst nicht bestehen könnte, z. B. Verletzungen der Polizei- und Militärgesetze. Aber unsere sittliche Beurteilung dieser Fälle - der Todesstrafe z. B., die auf das Einschlafen der Schildwache gesetzt ist - zeigt uns im Vergleiche mit der Beurteilung von Fällen des Elternmordes, dass die Billigung der Strafe hier auf ganz anderen Prinzipien beruht als dort. Die verurteilte Schildwache erscheint uns auf dem Grunde unseres Herzens als ein unglückliches Opfer... Aber wenn der Mörder der Strafe entgeht, hoffen wir auf Gottes Gerechtigkeit. Wir sind soweit entfernt, das Interesse der Gesellschaft als das einzige Motiv seiner Bestrafung in diesem Leben anzusehen, dass . die Religion uns seine Züchtigung in einem zukünftigen Leben erwarten lässt.

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Wenn Smith das Interesse, das die einzelnen an dem Wohle der Gesamtheit nehmen, in eine Summe von Interessen an dem Wohle ihrer Glieder auflöst, wenn er die soziale Ordnung aus den gegenseitigen Beziehungen der Individuen zu erklären sucht, wenn er endlich der Vernunft den Charakter eines bewusst das soziale Leben bestimmenden Faktors abspricht, so verlangt diese Auffassung auch eine individualistische Deutung der sozialen Kardinaltugend, der Gerechtigkeit. Diese Deutung ergibt sich durch die Einführung des Vergeltungstriebes:,,Wiedervergeltung scheint das grosse Gesetz der Natur zu sein" 76). Die Gerechtigkeit, die Hume noch aus Vernunftserwägungen, aus der Nützlichkeit oder Schädlichkeit einer

76) „Retaliation seems to be the great law which is dictated to us by nature." (Moral Sent. Part II. Sect 2 ch. 1. p. 139.)

Handlung für die Gesellschaft erklärt hatte, erhält nun ihre Begründung ebenfalls in einem Gefühle. So wird nun auch die Sozialwissenschaft in psychologischen Untersuchungen verankert, und damit endgültig die asketische Grundtendenz der christlichen Tugendlehre überwunden durch die Anerkennung der Triebe der Selbsterhaltung wie der Vergeltung als sittlich berechtigter Motive.

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Der geniale Gedanke eines automatischen Wirkens der individuellen Impulse im Interesse der Gesamtheit findet endlich seine konsequente Verwertung in der Erfassung des Wirtschaftslebens, das der Merkantilismus stets rein kollektivistisch konstruiert hatte. Die Arbeitsteilung, die Grundlage aller sozialen wirtschaftlichen Betätigung wird von Smith als Ergebnis der unbewusst im Menschen wirkenden Kräfte erkannt: We cannot imagine this (the division of labour) to be a product of human prudence" 77). Mit Hilfe jener teleologischen Weltauffassung werden alle Erscheinungen des Wirtschaftslebens auf die Beziehungen der Individuen zueinander zurückgeführt: das in jedem einzelnen wirksame Selbstinteresse stellt, sich selbst überlassen, automatisch den günstigsten Zustand der Produktion und der Verteilung der Güter her. He (the man) generally indeed neither intends to promote the public interest, nor knows how much he is promoting it.. he only intends his own gain, and he is in this, as in many other cases, led by an invisible hand to promote an end which was no part of his intention" 78). Als logische Konsequenz aus diesen Erwägungen ergibt sich für das Wirtschaftsleben die Notwendigkeit der freien Konkurrenz; das ganze Buch über den Volksreich

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77) Smith, Lectures, ed. Cannan p. 168. Ähnlich bezeichnet auch Ferguson die „Separation of Arts and Professions" als „the result of instinct, directed by the variety of situation in which mankind are placed". (Civil Government 7th ed. p. 304.)

78) Wealth of Nations Part IV Ch. II. Ähnlich auch eine Stelle aus den Moral Sentiments, in welcher Smith zeigt, dass die Landlords, ausschliesslich von dem Streben nach Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse geleitet, doch das Interesse des Ganzen aufs Beste erfüllen. "Without intending it, without knownig it they advance the interest of the society, and afford means to the multiplication of the species. (Part IV Chap. 1 p. 273.)

tum ist ja dem Nachweis gewidmet, dass die Freiheit des Verkehres allein den für die Gesellschaft günstigen Zustand herbeizuführen vermag. Es hiesse Eulen nach Athen tragen, wollten wir diese Zusammenhänge hier nochmals im einzelnen darlegen.

Die Literarhistoriker der Nationalökonomie haben sich oft genug mit der auffälligen Tatsache beschäftigt, dass Smith, der in seiner Moraltheorie das Sympathieprinzip zur Grundlage der sittlichen Erkenntnis wählt, für das Gebiet des Wirtschaftslebens das Selbstinteresse als das entscheidende aber auch völlig hinreichende Motiv menschlichen Handelns bezeichnet 79). Auch hier gibt uns vielleicht die von Smith selbst betonte Unterschei

79) Buckles Ansicht, dass Smith in Anwendung der Methode isolierender Abstraktion das Handeln der Menschen in der Morallehre ausschliesslich auf das Sympathieprinzip, in der Wirtschaftstheorie ausschliesslich auf das Selbstinteresse begründet habe, war lange Zeit die herrschende und jedenfalls besser begründet als eine andere, von Knies, Held, Skarzinsky vertretene Meinung, die einen Gesinnungswechsel Smiths annahm, und ihn auf den Einfluss des französischen Materialismus zurückführte. (Vgl. Zeyss, Adam Smith und der Eigennutz S. 5 fg.) Eine vermittelnde Stellung nimmt Hasbach ein (Untersuch. über Ad. Smith S. 91 fg.), der zu zeigen versucht, dass Smith die Sympathie ursprünglich durchaus als ein selbstisches, nicht als altruistisches Prinzip auffasst". Von einer anderen Seite her bemüht sich Zeyss um eine Versöhnung der beiden Werke des schottischen Philosophen, indem er unter Berufung auf zahlreiche Belegstellen den durchaus gelungenen Nachweis erbringt, dass Smith, der den Eigennutz wiederholt als sittlich berechtigtes Prinzip anerkennt, vor allem im Wirtschaftsleben jenes Gebiet menschlicher Betätigung erblickt, auf welchem das Selbstinteresse nicht entbehrt werden kann. Neuerdings hat der amerikanische Soziologe Small (Adam Smith and modern Sociology 1907) die Ansicht vertreten, dass Smith in seinem Wealth of Nations lediglich Probleme ökonomischer Technologie behandelte und in diesem Sinne die Nationalökonomie streng von jeder moralischen Betrachtung schied. Abgesehen vom 5. Buche habe er die Frage nach dem „Sollen" im Wirtschaftsleben ganz unberücksichtigt gelassen, und in strenger Analogie zur Methode naturwissenschaftlicher Technologie bloss die Mittel erörtert, die zu den von der Morallehre entlehnten Zielen führen. Der methodologische Irrtum seiner Nachfolger habe erst die Nationalökonomie zum „Eck- und Grundstein" der Morallehre gemacht, in der Annahme, dass das wirtschaftlich Vorteilhafte eben deshalb auch schon das moralisch Richtige sei. Small übertreibt hier den berechtigten Gedanken, dass Smith die Wirtschaftswissenschaft mit aller Bestimmtheit von der Morallehre schied.

Die Entstehung d. individualist. Sozialphilosophie.

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