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aber durchwegs kollektivistischen Erwägungen. Dem Fürsten wird das Recht und die Pflicht der Bevormundung seiner Untertanen keineswegs prinzipiell bestritten. Nur für den Handel wird die Freiheit begehrt, weil sie sein Lebenselement bildet. Und ähnliche Gedanken bestimmen den Kampf gegen das Zunftsystem, der vor allem in Frankreich von Colbert mit dem grössten Erfolge geführt wird. Aber allen diesen mächtigen Regungen der Wirtschaftsfreiheit fehlt noch der Zusammenhang mit einer individualistisch begründeten Ethik. Vielleicht bestand die nachhaltigste Wirkung der „,Bienenfabel" darin, dass sie den klaffenden Widerspruch zwischen den kollek tivistisch fundierten Forderungen des Merkantilismus und den immer stärker werdenden Tendenzen des Individualismus mit aller Schärfe aufzeigte, jenen Widerspruch, der Shaftesbury zu dem Ausrufe veranlasste:,,The Ballance of Europe, of Trade, of Power, is strictly sought after; while few have heard of the Ballance of their Passions, or thought of holding these scales even 12)."

Drei deutlich verschiedene Auffassungen des sozialen Lebens sehen wir demnach in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts um die Herrschaft ringen 13): Die alte, universalistische Lehre, die wir wohl auch als die kartesianische bezeichnen können; sie misst der menschlichen Vernunft die Bedeutung eines die Grundsätze von Recht und Sittlichkeit aus sich heraus erzeugenden Vermögens bei und ist demgemäss geneigt, den Staat wie das Wirtschaftsleben als frei geschaffenes Produkt dieser Vernunft aufzufassen.

12) Zit. aus Shaftesburys The Moralists, bei Hasbach, Allgem. philos. Grundlagen S. 146.

13) Schon Adam Smith hat diese dreifache Möglichkeit mit grosser Klarheit charakterisiert: „The great division of our affections is into the selfish and the benevolent. If the character of virtue, therefore, cannot be ascribed indifferently to all our affections, when under proper government and direction, it must be confined either to those which aim directly at our own private happiness, or to those which aim directly at that of others. If virtue, therefore, does not consist in propriety, it must consist either in prudence or in benevolence." (Moral Sentiments, Part. VI. Sect 2 Intr. 3rd Ed. p. 329.) Vgl. auch Hasbach, Untersuchungen S. 48 fg.

Ihr tritt die Morallehre des Nominalismus entgegen, die im menschlichen Selbstinteresse das bewegende Prinzip des staatlichen und gesellschaftlichen Lebens erblickt, und das einigende Band, das die Menschen trotz ihrer widerstreitenden Sonderbestrebungen zum Zusammenleben zwingt, in jene Vernunft verlegt, die stark genug ist, den Menschen zum Verzicht auf die völlige Befriedigung seiner Begierden zu bestimmen, insofern dieser Verzicht durch die Wohltaten des geordneten Staatswesens ungleich höhere Vorteile bietet. Die Vernunft nimmt hier den Charakter eines die Selbstsucht regulierenden Prinzips an; Recht und Sittlichkeit stehen in ihren Grundsätzen keineswegs a priori fest, sie werden nominalistisch aus dem Vertragsgedanken abgeleitet.

Die selbständige, das Recht und die sozialen Institutionen schaffende Kraft der Vernunft wurde auch von einer dritten, immer schärfer betonten Geistesrichtung geleugnet, die an dem Gedanken der a priori gegebenen Grundsätze des Rechts und der Sittlichkeit wohl festhielt, der Vernunft aber bloss die Fähigkeit zuschrieb, diese Grundsätze aus der „Natur" des Menschen und der Welt zu erkennen. Das Prinzip der sittlichen Erkenntnis suchte diese Lehre regelmässig in dem Gefühle. Von ihrem Boden aus musste der Gegensatz zwischen dem Individual- und dem Kollektivinteresse sich immer mehr verflüchtigen; wohl wurzeln alle unsere Triebe nur in uns selbst, sind also individuell begründet, aber da die Vernunft nicht mehr imstande ist, jenen Widerstreit durch ihren Machtspruch, also durch bewusstes Tun der Menschen, zu beseitigen, muss er spontan, durch die Wirksamkeit von Faktoren, überwunden werden, die schon in jenen Trieben selbst gelegen sind. Die Vernunft ist damit aus der Stellung eines normativen Prinzips in jene eines erklärenden und beschreibenden gedrängt; sie hat aus den Regelmässigkeiten in der Wirksamkeit der menschlichen Triebe die Gesetze für das sittliche Handeln lediglich abzuleiten; die Ethik wird zu einer Wissenschaft. Nicht heteronome, von einer aussenstehenden Macht gegebene Normen oder a priori in der Vernunft vorhandene Grundsätze bestimmen über unser Tun und Lassen, sondern die in allen Menschen

gleichmässig wirkenden, durch die Vernunft erkennbaren Triebe erzeugen aus gleichen Ursachen gleiche Wirkungen. Ohne die Annahme einer generischen Identität der Menschen in ihrer psychischen Veranlagung ist freilich alles Streben nach Erkenntnis der Vorgänge des individuellen wie des gesellschaftlichen Lebens sinn- und zwecklos. Schon Mandeville formuliert mit aller Schärfe den Satz, dass die Menschennatur immer die gleiche ist wie schon seit Jahrtausenden, und dass es daher lächerlich wäre, in der Zukunft eine Änderung dieser Natur zu erwarten, solange die Welt besteht 14) - ein Gedanke, der dann mit der gleichen Bestimmtheit bei Hume und Smith wiederkehrt 15).

Für die Ethik hatte diese neue Auffassung auch die bedeutsame äusserliche Konsequenz, dass sie sich immer bestimmter von der Rechtslehre und der Politik loslöste, mit denen sie im älteren Naturrechte bei Grotius und Pufendorf fast untrennbar vermischt gewesen war. Thomasius, dann in England Hutcheson und Smith haben diese Scheidung vollzogen 16). Immer mehr nähert sich diese neue Betrachtungsweise dem Gedanken des sozialen Gesetzes, das, allem bewussten, beabsichtigten Eingreifen der Menschen entrückt, ihr gesellschaftliches Leben ebenso beherrscht, wie das physikalische Gesetz die unbelebte Natur. Gibt es Regelmässigkeiten, die mit Notwendigkeit aus den überall gleichmässig wirksamen Trieben der Menschen resultieren, so ist es die Aufgabe der Vernunft, sie zu entdecken, auch hier die Beziehungen von Ursache und Wirkung nachzuweisen, um dann der ,,Natur" ihren freien Lauf zu lassen 17).

Die Natur das ist die grosse Zauberkraft, die in verschwommener Gestalt dem Menschen des 18. Jahrhunderts vor

14) Fable of the Bees Bd. I S. 298 der zit. französ. Ausgabe (Remarque T). 15) Vgl. unten S. 87 und 92.

16) Vgl. Hasbach, Untersuchungen über A. Smith S. 212 fg., dann ebda. S. 359, wo die Bedeutung Hutchesons für die Entwicklung der Moralphilosophie dargelegt wird.

17) Sehr charakteristisch für diese Auffassung ist z. B. eine Stelle aus Boisguilleberts Dissertation sur la nature des richesses, Ed. Daire p. 408: ,,C'est à la nature seule à y mettre cet ordre et à y entretenir la paix: toute

schwebte, dem die kleine Welt seines Daseins mit ihren beengenden Fesseln die freie Lebensregung hemmte. Bis tief in die Neuzeit hinein war der kollektivistische Sinn des Mittelalters herrschend geblieben, der den Menschen nicht von seinen durch die Berufsstellung bedingten Eigenschaften zu trennen vermochte, der in dem Individuum immer den Angehörigen einer bestimmten sozialen Gruppe erkannte und wertete 18). Der Ruf nach einer Rückkehr zur Natur, nach einer Wiederherstellung des primitiven Menschen, der alsbald die ganze Literatur durchtönte, kennzeichnet die Sehnsucht, den einzelnen von seinem Berufe, seinem spezifischen Besitze zu trennen. Romanfiguren, wie wir sie z. B. in Goethes Werken, im Wilhelm Meister, im Werther, als Idealgestalten finden, Persönlichkeiten, die berufslos sind und gar nicht die Absicht haben, einen bestimmten Beruf zu ergreifen, wären noch dem 17. Jahrhundert eine fremde Erscheinung gewesen. Diese Loslösung des Menschen von seinem Berufe bereitet gleichzeitig jene neue Geistesrichtung vor, die das Erwerben an sich, es mag in welcher Form immer stattfinden, auch bei stetigem Wechsel des Berufs als sittlich berechtigte Form der Existenz anerkennt. Je uneingeschränkter sich der einzelne von seinen natürlichen Eigenschaften in der Wahl seines Erwerbes leiten lässt, je weniger ihn die Rücksicht auf Stand und Geburt, auf Tradition und Ererbtes in der Betätigung seiner Kräfte hemmt, um so mehr nähert er sich dem Ideal, das die neue Zeit formt. Es ist der erwachende Geist des Individualismus, der die Fesseln des Kollektivgedankens immer mutiger abstreift und alsbald alle Starrheit in der Fixierung von Mass und Ziel des Erwerbes verabscheut, - es ist gleichzeitig der Geist des Kapitalismus, der nun lebendig wird.

autre autorité gâte tout en voulant s'y mêler quelque bien intentionnée qu'elle soit. La nature même, jalouse de ses opérations, se venge aussitôt par un déconcertement général, du moment, qu'elle voit que, par un mélange étranger, on se défie de ses lumières et de la sagesse de ses opérations."

18) So kennt z. B. das mittelalterliche Drama nur Typen, „bestimmte Personen mit bestimmtem, allgemein bekannten Charakter". (Lamprecht, Deutsche Geschichte Bd. VI S. 107 fg.)

Das tiefe Bedürfnis jener Zeit nach einer Befreiung von der Staatsallmacht des Absolutismus erhält in der rationalistischen Philosophie seine theoretische Rechtfertigung. Auf der einen Seite sind es die angeborenen, natürlichen Rechte des Menschen, welche das Naturrecht dem Absolutismus als unübersteigbare Schranke entgegenstellt, auf der anderen Seite gewinnt der Individualismus in dem Begriffe des unabänderlichen Gesetzes, das auch das soziale Leben beherrscht, jene gefährliche Waffe, mit welcher er die Versuche des Staates zur Beschränkung der individuellen wirtschaftlichen Freiheit abwehrt. Er erhält damit gleichzeitig auch die unentbehrliche Grundlage für einen systematischen Aufbau der Sozialphilosophie, deren Aufgaben nun bestimmt dahin orientiert sind, mit Hilfe der Vernunft die natürlichen Gesetze zu finden und ihnen im Leben der Staaten und Völker unbeschränkte Anerkennung zu sichern.

b) Die Physiokraten. Hume und Smith. Während sich die englische Sozialphilosophie immer mehr einer Formel nähert, die das Kollektivinteresse einfach in die Summe individueller Glückseligkeit auflöst, behauptet in Frankreich das universalistische Vernunftprinzip die Herrschaft, das die Versöhnung der divergierenden Interessen letzten Endes nur durch eine bewusste Unterordnung des Individuums unter die Zwecke des Ganzen mit Hilfe der Vernunft herzustellen vermag.

Auf dem Gebiete der Staatslehre tritt dies ebenso deutlich zutage, wie auf jenem der Wirtschaftsphilosophie. Hatte der Absolutismus mit all der Willkür seiner Politik und den Mängeln seines Verwaltungssystems das tiefe Bedürfnis nach individueller, politischer und wirtschaftlicher Freiheit noch gesteigert, so versuchen zahlreiche Schriftsteller Boisguillebert, d'Argenson u. a. m. --- durch Berufung auf die Gesetze der Natur der Freiheit die Gasse zu bahnen 19). Allein der prinzipielle

19) Vgl. das Zitat aus Boisguillebert oben S. 75. Vgl. auch d'Argenson, Considération sur le Gouvernement 1764 p. 22: „On n'a peut-être jamais pensé à cette mesure de liberté dont je viens de parler; c'est celle que les

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