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eines Dritten kontrahiert" 18). Das Heil des Kollektivums, des Staates wird auf diesem Umwege wieder zum letzten Kriterium der Sittlichkeit: Salus publica suprema lex 19). Das Gesetz ist weder gerecht noch ungerecht, es ist gut oder schlecht, je nachdem es jenen obersten Zweck erreicht oder verfehlt. So mündet die Hobbessche Sozialphilosophie - das erste System, das die Gedanken des reinen Individualismus zum Ausgangspunkt nimmt in die denkbar schärfste theoretische Verteidigung des Absolutismus; es erschrickt förmlich vor der revolutionären Wucht jener Forderungen, die sich mit logischer Notwendigkeit aus seinen Grundgedanken ergeben mussten, und wendet diese Forderungen an dem entscheidenden Punkte in ihr Gegenteil 20).

Die rein nominalistische Fundierung des Rechtes und der Sittlichkeit, wie sie Hobbes versucht hatte, stand freilich mit den Grundgedanken der herrschenden universalistischen Philosophie in viel zu schroffem Gegensatze, als dass sie hätte allgemeine Anerkennung finden können 21). Aber an dem Widerspruche, den diese Lehre erregen musste, schärfte sich die Überzeugung der Gegner, dass es notwendig sei, der Sittlichkeit und dem Rechte eine über der Natur und den Menschen stehende verpflichtende Kraft zuzuerkennen, eine Evidenz, wie sie die axiomatisch geltenden Lehrsätze der Mathematik besitzen. Die Schule der Denker von Cambrigde, die vor allem durch Cudworth (Systema intellectuale 1678) und More (Enchiridion ethicum 1667) vertreten wird, lehrt mit aller Entschiedenheit, dass die Seele von jenem ewigen, unendlichen Geiste, dessen Er

18) Gierke, Joh. Althusius S. 87.

19) Hobbes, De corp. polit. Cap. IX. S. 89 der zit. Ausg.

20) Über die Gründe, die Hobbes zu dieser Haltung veranlasst haben mögen, vgl. Jaeger, Der Ursprung der modernen Staatswissenschaft im Arch. für Gesch. der Philosophie N. F. Bd. VII S. 559.

21) Einzelne Anhänger der Hobbes'schen Lehre nennt Gierke, Althusius S. 87 Note 38. Wie Hobbes leugnet auch Selden (De jure naturali et gentium etc. 1636/40) jede Begründung des natürlichen Rechtes in der angeborenen Vernunft. Er sieht sich genötigt, zu dem positiven, von Gott den ersten Menschen, Adam und Noah, verkündeten Gebote zurückzugehen, das im Wege der Tradition allen Völkern überliefert wurde.

scheinungsform sie ist, eine eingeborene Kraft erhalten habe, die sie zur Erkenntnis der jenseits aller menschlichen Willkür in der ewigen göttlichen Ordnung begründeten Sittlichkeit befähigt 22).

Tritt hier der universalistische Charakter des Sittengesetzes mit grosser Schärfe hervor, so werden die Konsequenzen dieser Auffassung für das soziale Leben der Menschen vor allem von Richard Cumberland gezogen 23). Er begründet die Sittlichkeit auf den unabhängig von allen Nützlichkeitserwägungen vorhandenen Sozialtrieb des Menschen und bezeichnet das Wohl der Gesamtheit als das oberste Prinzip alles sittlichen Handelns, das Wohl der Gesamtheit, in welchem das Wohl aller Teile mit eingeschlossen ist 24).

Aber diese rein aprioristische Begründung der Sittlichkeit scheint Cumberland doch nicht völlig auszureichen. Er sucht nach einer weiteren Sanktion für die Beobachtung ihrer Gesetze und findet sie in den von Gott auf ihre Verletzung gesetzten Strafen, in der mit ihrer Übung verbundenen Belohnung 25).

22) Vgl. Adam Smith Moral Sent. Part VI. Sect 3 Chap. II 3rd ed. p. 396: When this controversy with Mr. Hobbes was carried on with the greatest warmth aud keennes, no other faculty (but reason) had been thougth of from which any such ideas could possibly be supposed to arise. It became at this time therefore the popular doctrine that the essence of virtue did consist in their conformity or disagreement with reason, which was then considered as the original source and principle of approbation and disapprobation". Vgl. auch Jodl, Gesch. der Ethik I. S. 235,6.

23) De legibus naturae disquisitio philosophica 1671. Vgl. Jodl a. a. O. S. 243/4. In der Übersetzung von Barbeyrac, die mehrere Auflagen erlebte, fand das Werk in Frankreich Eingang und hat hier die Entwicklung der Sozialphilosophie stark beeinflußt. Raynaud (Les discussions sur l'ordre naturel Revue d'Economie politique Bd. XIX p. 238) scheint freilich die Originalität des Buches zu überschätzen.

24) „Benevolentia maxima singulorum agentium Rationalium erga omnes statum constituit singulorum omniumque Benevolorum, quantum fieri ab ipsis potest, felicissimum; et ad statum eorum quem possunt assequi, felicissimum necessario requiritur; ac proinde Commune bonum erit suprema lex.“ (Cumberland, De legibus etc. ed. secunda 1683 cap. I § 4. vgl. ebda § 32 p. 65; dann die Definition des Naturrechts im Kap. V.)

25) „Posito autem quod Commune Bonum sibi velut finem Deus proponat, facile colligitur, eum velle homines eundem finem prosequi; et manifestum est

So ist denn der Einfluss der individualistischen Gedanken stark genug, um auch die Gegner der Hobbeschen Lehre zu dem Zugeständnisse zu veranlassen, dass die verpflichtende Kraft des Naturgesetzes einer Unterstützung durch Nützlichkeitserwägungen bedarf 26).

Auch der universalistische Zweig des Rationalismus entwickelte eine Theorie, die dem Individualismus eine Grundlage für die Verfechtung seiner Ansprüche zu bieten vermochte. Indem Spinoza von der Vorstellung ausging, dass die Gottheit in ihrem unveränderlichen, reinen Sein in allen Dingen der Welt wirke, und indem er den Gedanken der unbedingten Kausalität konsequent auch auf das sittliche Leben der Menschen anwendete, gelangte er zur letzten, absoluten Konsequenz des Universalismus, zur Leugnung jeder Freiheit des Willens. Wenn jede Handlung den Gesetzen des Weltgeschehens notwendigerweise folgen muss, wenn logisch jede Verletzung dieser Gesetze ausgeschlossen ist, dann gibt es, genau genommen, keine Ethik 27). Auch die Gerechtigkeit kann keine Ausnahme von diesem Gesetze der allgemeinen Notwendigkeit beanspruchen: auch die Rechtssphäre des einzelnen wird nicht fixiert durch a priori feststehende Gesetze des Sollens, die sich in freier Willensentschliessung verwirklichen lassen, sie ist bloss kausal bestimmt durch das Mass der persönlichen Macht, mit welcher das Individuum seine Ansprüche durchzusetzen vermag. Dieser Ge

danke findet seinen Ausdruck in der klassischen Formel: Unusquisque tantum juris habet quantum potentia valet 28). Die

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distributionem praemiorum et poenarum inter homines medium esse necessarium quo ipsi certissime ducantur in consensum cum Divina voluntate." (Ebda. Kap. I § 18 p. 225.)

26) Raynaud, a. a. O. S. 241 bestreitet diese Auslegung ohne zureichenden Grund in einer Polemik gegen Laviosa, La filosofia scientifica del diritto in Inghilterra.

27) Vgl. u. a. Stahl, Gesch. der Rechtsphilosophie 3. Aufl. S. 106 fg.

28) Tract. theologico-politicus cap. XVI: „Hinc sequitur, unumquodque individuum jus summum habere ad omnia, quae potest, sive, jus uniuscuiusque eo usque se extendere, quousque eius determinata potestas se extendit . . . Jus itaque naturale uniuscuiusque hominis non sana ratione, sed cupiditate et potentia determinatur," (S. 175 fg der Hamburger Ausgabe von 1670.)

Furcht und das Bedürfnis nach Sicherheit, also Nützlichkeitserwägungen, nicht angeborene soziale Instinkte, treiben die Menschen zur Gründung von Staaten, zur Übertragung des absoluten Anspruchs, den jeder auf alle ihm erreichbaren Dinge hat an die Gesamtheit, die ihrerseits nun dem einzelnen jenes Mass an rechtlichen Befugnissen zuweist, das sich mit dem Interesse aller verträgt. Erst nach Abschluss dieses Vertrages sind Rechtsverletzungen, Störungen des positiven, vereinbarten Rechtes möglich geworden.

Nicht nur in ihrem philosophischen Ausgangspunkte, auch in ihren praktischen Konsequenzen unterscheidet sich die Staatslehre des Spinoza scharf von jener des Hobbes, obwohl sie beide den gleichen Gedanken einer grundsätzlich durch keinerlei Naturrecht beschränkten Macht des einzelnen zum Ausdrucke bringen. Es fehlen bei Spinoza jene absolutistischen Tendenzen, die Hobbes veranlassen, dem Staate die unbeschränkte Macht über seine Glieder einzuräumen 29). Eine solche Zuspitzung seiner Theorie lag Spinoza ferne, dessen republikanisches Vaterland jedem einzelnen die grösstmöglichste Freiheit zu gewähren suchte. Der völlige Verzicht auf die ganze im Naturzustande vorhandene individuelle Macht des einzelnen scheint nicht erforderlich zu sein, um die Sicherheit im Staate zu begründen, ja er ist ganz unmöglich. Auch der Gesellschaftsvertrag lässt daher eine Gruppe von natürlichen Befugnissen, vor allem den Anspruch auf Erhaltung der Existenz unangetastet. Und damit weist die spinozistische Rechtsphilosophie schon auf jene Entwicklung hin, welche dem Rationalismus seine grosse Bedeutung in der praktischen Politik geben sollte auf die Begründung der Menschenrechte. Indes nicht mit Hilfe der von Spinoza vertretenen Machtdoktrin, „im Zeichen der Rechtsdoktrin wird der Sieg des Individualprinzips über das Sozialprinzip, des liberaleren Systems über das Ancien Régime erfochten" 30). Der universalistische Gedanke eines a priori gegebenen Naturrechts behauptet in der Sozialphilo

29) Vgl. Dubois in der Revue d'Histoire des Doctrines économiques etc. I. p. 267.

30) Dietzel, Art. Individualismus im Handw. der Staatsw.

sophie dauernd das Übergewicht über die konsequentere Lehre von der unbedingten Determinierung des Willens.

Es war ein entscheidender Erfolg dieser grossen sozialphilosophischen Bewegung, dass nun der Rechtsgrund für die Existenz des Staates durchaus in den Vertrag, den consensus der Individuen, verlegt wird. Der Staat existiert nicht von Anbeginn kraft göttlicher Einsetzung oder als unmittelbares Erzeugnis menschlicher Geselligkeitstriebe, sondern als eine Schöpfung bewussten menschlichen Willens, der, von der Vernunft beherrscht, die Grundsätze der ewigen Gerechtigkeit verwirklichen soll. Schon vor dem Bestande des Staates hat es ein Nebeneinander und Miteinander der Menschen gegeben, in der Gesellschaft, die nun als vorstaatlicher Zustand scharf vom Staate geschieden wird. Für die Gegenwart freilich, die jenen Zustand längst überwunden hat, gibt es keine Gesellschaft ohne staatliche Ordnung, und so wirkt der alte kollektivistische Gedanke stark genug nach, um jede selbständige Untersuchung der in und neben dem Staate bestehenden Gesellschaftsformen auf lange Zeit hinaus zu verhindern. In jenem Naturzustande aber waren die Individuen nur mit ihren natürlichen, angeborenen Eigenschaften ausgestattet einander völlig gleich und demgemäss auch voneinander völlig unabhängig und frei, wenn man auch für diese hypothetische Periode menschlicher Geschichte eine gewisse rechtliche Gebundenheit der Individuen kraft der lex naturalis annehmen mochte 31).

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Von Pufendorf wird der einheitliche Staatsvertrag des Hobbes in zwei Prozesse zerlegt, den Vereinigungs- und den Unterwerfungsvertrag. Der Vereinigungsvertrag, SO konstruierte die Sozialdoktrin die Entstehung des Staates, erzeugte eine societas aequalis; erst durch den Unterwerfungsvertrag kam die societas inaequalis, der Staat, zustande, und durch diese

31) Vgl. Gierke, Joh. Althusius S. 107. Auch Locke kennt derartige Beschränkungen der Freiheit des einzelnen im Naturzustande (Civil Government L. II ch. II). „The state of Nature has a law of Nature to govern it, which obliges every one, and reason, which is that law, teaches all mankind who will but consult it, that being all equal and independent, no one ought to harm another in his life, health, liberty or possessions" etc.

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