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richten, ist völlig überwunden. Die Soziallehre der Puritaner konstruiert nach Analogie des alttestamentarischen, von Gott mit seinem Volke abgeschlossenen Bundes einen Vertrag zwischen Gott und der Gesamtheit der Gläubigen. Die letztere wird als ein am Fusse des heiligen Berges gelagerter einheitlicher Körper aufgefasst, und hat von Gott unmittelbar die Fähigkeit. erhalten, eine Obrigkeit zu erzeugen 18).

Ihre nähere Begründung erhält die naturrechtlich-kollektivistische Staatsauffassung in der Theorie vom Unterwerfungsvertrage. Schon in der mittelalterlichen Staatslehre hatte der Vertragsgedanke eine bedeutende Rolle gespielt; seine Ursprünge sind in der eben erwähnten alttestamentarischen Geschichte des göttlichen Bundes wie in der griechischen Philosophie und dem römischen Staatsrechte zu suchen. Aber niemals hatte er im Mittelalter dazu gedient, die Entstehung des Staates zu erklären; nur auf die Einsetzung des Herrschers im Staate hatte er Anwendung gefunden 19). Nun tritt die gleiche Idee nicht mehr in theokratischem, sondern in naturrechtlichem Gewande auf. Ihr liegt der Gedanke zugrunde, dass das Volk als Gesamtkörper schon vor der Einsetzung des Herrschers existiere, dass es als eine von dem Wechsel ihrer Glieder unabhängige, unsterbliche Gesamtheit durch den einmal abgeschlossenen Vertrag auch die späteren Generationen zu binden vermöge 2o). Wie die Gesamtheit als solche den Monarchen einsetzt, so stammt auch ihre Gewalt über ihre Glieder nicht von dem Willen der letzteren her, sondern beruht unmittelbar auf dem göttlichen Rechte. Nur für die das Denken unserer heutigen Zeit beherrschende individualistische Auffassung scheint der Gesellschaftsvertrag logisch dem Herrschaftsvertrage vorauszugehen 21). Dem Kollektivismus, dem die Individuen

18) Vgl. Gierke, Joh. Althusius S. 63.

19) Vgl. Jellinek, Allgem. Staatslehre S. 197.

20) Vgl. Gierke ebda S. 85. Vor Hobbes bestand, wie Gierke bemerkt, ein Zweifel an der Konstruktion des Volkes als juristischer Persönlichkeit überhaupt nicht.

21) Vgl. Rousseau, Contrat social, 1. I ch. V.: „Un peuple, dit Grotius, peut se donner à un Roi. Selon Grotius un peuple est donc un peuple avant de se donner à un Roi. Ce don même est un acte civil, il suppose une

gar keine selbständigen Glieder der Gesamtheit, sondern nur untergeordnete Teile des höheren Ganzen sind, ist die Idee, den Staat auf den übereinstimmenden Willen der Individuen zu begründen, völlig fremd.

So haben die Individuen wohl Rechte gegeneinander, aber keine Rechte dem Staate gegenüber. Staat und Fürst fallen in eins zusammen, das Interesse des Fürsten ist bestimmend für seine Politik. Er sucht im Innern seine Autorität ebenso zu erweitern, wie er seine Macht nach aussen hin zu stärken bestrebt ist. Selbst die Religion wird oft genug diesem Staatsgedanken untergeordnet: sie hat eine Bedeutung für die Politik nur insoferne, als ,,die Häresie einen Gärungsstoff in den Staat bringt und als die Einheit des Glaubens der beste Schutz für die Einheit des Gesetzes zu sein scheint" 22). Wo die religiöse Morallehre mit dem Staatsinteresse in Konflikt gerät, behauptet das letztere den Sieg. In der Politik eines Machiavelli fanden diese Gedanken ihre vollendetste Gestaltung.

Sie üben einen entscheidenden Einfluss auch auf die Wirtschaftslehre jener Zeit, die ihre orientierende Richtung durchaus von der staatlichen Politik empfängt, ja zunächst einen ununterschiedenen Teil der Lehre von der Politik bildet 28). Eine Darstellung der Beziehungen der Individualwirtschaften, sei es zueinander, sei es zur Wirtschaft des Staates, fehlt dieser Nationalökonomie vollständig. Die Handelsbilanztheorie des Merkantilismus, die schlechthin mit dem Gedanken operiert, dass die Staaten als einheitliche Wirtschaftskörper einander gegenüberstehen und als solche die Warenmengen gegenseitig austauschen, ist nur dann verständlich, wenn man sich diesen Ausgangspunkt vor Augen hält 24). Dem Merkantilismus han

délibération publique. Avant donc que d'examiner l'acte par lequel un peuple élit un Roi, il seroit bon d'examiner l'acte par lequel un peuple est un peuple. Car cet acte étant nécessairement antérieur à l'autre est le vrai fondement de la société". Ähnlich Gierke a. a. O. S. 76.

22) Vgl. Michel, L'idée de l'Etat S. 4 fg.

23) Auf den kollektivistischen Charakter der damaligen Wissenschaften macht auch Bonar aufmerksam (Philosophy and Polit. Economy S. 60 fg.).

24) Vgl. meinen Aufsatz über die Idee des Gleichgewichts in der älteren nationalökon. Theorie in der Zeitschr. f. Volkswirtsch., Sozialpol. etc. Bd. XVII.

delt es sich in seiner Politik bloss um die Steigerung der Macht des eigenen Staates auf Kosten der anderen.

Mit diesen kollektivistischen Forderungen gehen universalistische Erwägungen in der Wirtschaftstheorie parallel. Bestimmend für den Wert des einzelnen Gutes ist nach der Theorie des Merkantilismus nicht etwa die Beziehung des Gutes zum wirtschaftenden Individuum, sondern, anknüpfend an die alte, kanonistische Tradition, eine der Güter gattung innewohnende Eigenschaft, die Nützlichkeit. Allein der Preis erscheint nun nicht mehr, wie dies der scholastischen Lehre entsprach, einfach als Ausdruck des „,inneren Wertes" der Güter. Die kollektivistische Wirtschaftspolitik führt vielmehr nun dazu, den Preis der Güter zu erklären durch Vergleichung der ganzen in einem Lande vorhandenen Geldmenge mit dem ihr hier

gegenüberstehenden Warenquantum. So wird die gesamte Güter- und die gesamte Geldmenge eines Landes dem Werte nach gleichgesetzt, und aus dieser fundamentalen Gleichung werden dann die einzelnen Gleichungen zwischen der konkreten Ware und ihrem Preise abgeleitet (Quantitätstheorie) 25). Auch hier kehrt der Glaube an fix gegebene Quantitäten wieder, der in der Geschichtsphilosophie jener Zeit ebenfalls eine entscheidende Rolle spielt 26). Er beherrscht auch die Lehre vom Tausche, die zur Unterstützung des Gedankens der Handelsbilanz immer von neuem den Satz wiederholt, dass jeder Staat beim Tausche von Waren gegen Geld nur das gewinnen könne, was der andere verliere 27).

So stehen auch die theoretischen Erörterungen durchaus unter dem bestimmenden Einflusse der staatlichen Wirtschaftspolitik. Sie wertet alle Erscheinungen ausschliesslich unter dem Gesichtspunkte, ob sie geeignet sind, den Reichtum und die Macht des Landes als Gesamtheit zu erhöhen: es ist leicht begreiflich, wenn unter diesen Umständen die deutsche Verwaltungs- und Wirtschaftswissenschaft jener Zeit sich im wesentlichen in der Kameralistik, in der Lehre von den Staatseinnahmen, erschöpft.

25) Vgl. meinen zit. Aufsatz S. 7.

26) Vgl. oben S. 13.

27) Bonar, Philosophy and Polit. Econ. S. 61.

Daher die Bevölkerungspolitik des Merkantilismus, die, rein dem Machtgedanken entspringend, in der Vermehrung der Bevölkerung allein schon eine Förderung des Staatswohls erblickt, und diesen Gedanken mit um so grösserer Energie vertritt, je mehr Kriege und Seuchen die Volkszahl dezimieren 28).

Daher die Gewerbe- und Industriepolitik des Merkantilismus, die in der Wahl ihrer Mittel ebenfalls nur durch den kollektivistischen Endzweck bestimmt ist. Sie ist liberalistisch, wo es gilt, im Interesse einer Förderung des Aussenhandels die exportfähigen Manufakturen von den Schranken des Zunftzwanges zu befreien; sie greift anderseits unbedenklich zu den schärfsten Massregeln des Monopolzwanges, wenn diese eine Steigerung des Exports und damit des Staatsreichtums versprechen. Sie scheut nicht zurück vor den strengsten Luxusverboten, wenn es gilt, die Einfuhr ausländischer kostbarer Artikel auf diese Weise zu verhindern. Ähnlich ist der Merkantilismus in seiner Kolonialpolitik bestrebt, mit allen Mitteln die wirtschaftliche Unterwerfung der Kolonien unter die Interessen des Herrscherstaates zu erzwingen 29).

Der Aussenhandel erfreut sich vollends der ängstlichsten Überwachung und zwangsvollen Regulierung seitens des Staates. Denn gerade im Aussenhandel zeigt sich die Tendenz der Handelsleute, ihr privates Interesse ohne Rücksicht auf jenes des Staates zu verfolgen. Auch dort, wo starke wirtschaftliche Interessen, wie z. B. in Holland, nach einer Befreiung des

28) Nichts ist vielleicht so charakteristisch für diese Bevölkerungspolitik wie das Verhalten der Stuarts gegen die unzähligen Volksfeste des alten England, deren Gipfelpunkt zügellose Tänze um den Maibaum bildeten. Indem diese Feste die sinnlichen Begierden der Teilnehmer erregten, erschienen sie als ein sicheres Mittel, die Bevölkerung zu vermehren und das Book of Sport der Stuarts, das im bewussten Gegensatze zu dem erwachenden Geiste des Puritanismus ausdrücklich die Erneuerung dieser alten Missbräuche befahl, ist ein Dokument absolutistischer Bevölkerungspolitik, welche die niedrigsten Instinkte der Massen in den Dienst der Staatsallmacht stellte. Denn vom Standpunkte des Staatsganzen aus betrachtet war die Keuschheit der Frauen wertlos; sie verhinderte die Kinderzeugung. (Vgl. Patten, Development of English Thought p. 133 fg.)

29) Vgl. u. a. das treffliche Buch von Seeley, Expansion of England und Cunningham, Western Civilization p. 190 fg.

Aussenhandels drängen, nehmen diese Forderungen eine durchaus kollektivistische Form an: die Lehre von der wirtschaftlichen Harmonie der Länder verlangt die Handelsfreiheit mit der Begründung, dass Gott jedem Lande die seinen Interessen entsprechenden Produkte gegeben habe, damit der Überfluss des einen dem Mangel des anderen abhelfe. So erhält auch der Kollektivismus eine liberalistische Färbung, die insbesondere bei den späteren Vertretern des Merkantilismus deutlich hervortritt, um dann in den breiten Strom des erwachenden Individualismus zu münden.

Dieser Liberalismus wird auch in der Innenpolitik des Absolutismus deutlich sichtbar. Denn tief wurzelt in jedem von dem Gedanken der Einheit getragenen Kollektivverbande das Streben, alle neben und innerhalb dieser Gemeinschaft vorhandenen Verbände zu beseitigen und zwischen dem Kollektivum und dem Individuum keine konkurrierenden Vereinigungen bestehen zu lassen, die alle die Tendenz zur Selbständigkeit, zur Behauptung ihrer Sonderbestrebungen auf Kosten des zentralen Verbandes in sich tragen. So steckt in allen mächtigen Formen des Kollektivismus gleichzeitig der Keim zur Entstehung des Individualismus. Indem der Territorialstaat in seinem eigenen Interesse die Zwangsverbände in seinem Inneren vernichtete und dem Individuum eine immer weitergehende Wirtschaftsund Verkehrsfreiheit sicherte, zerbrach er gleichzeitig mit den festen Stützen, welche die mittelalterliche Wirtschaftsverfassung besessen hatte, auch den Geist des Kollektivismus. Er isolierte das Individuum, das nun ohne vermittelndes Zwischenglied dem Staate gegenübertrat. Damit half er selbst mit an der Bildung der freien, selbstbewussten und selbstverantwortlichen Persönlichkeit, und untergrub die Grundlage seiner Allmacht.

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