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Papstes über Kaiser und Könige, sein Recht, sie einzusetzen und zu richten, von der dem Nachfolger Petri durch Gott und Christus verliehenen Gewalt abgeleitet wird, atmen nicht minder den Geist des Universalismus wie jene Theorie von der ewigen Dauer des imperium Romanum, die über die Kaiser des byzantinischen Reiches hinweg durch die Kaiserkrönung Karls des Grossen die Krone der römischen Imperatoren auf das römische Reich deutscher Nation übertrug 17). Überall suchte man den Zusammenhang mit der grossen Vergangenheit Roms, ,,denn die Geister der Menschen waren während des ganzen Zeitraums, den wir das Mittelalter nennen, wirklich in dem Glauben befangen, dass alle Dinge von Anfang an unverändert fortbestanden und dass keine unübersteigliche Kluft zwischen ihnen und jener alten Welt liege, auf die zurückzublicken sie niemals aufgehört hatten“ 18).

Die Anschauungsformen des Universalismus durchtränken auch das wirtschaftliche und das gesellschaftliche Leben des Mittelalters bis ins tiefste Mark; denn die Kirche tritt auf mit dem Anspruche, dieses Leben nach allen Richtungen hin zu ordnen, zu regeln und zu bestimmen. Die religiöse Ethik ist es, die dem wirtschaftlichen und dem gesellschaftlichen Tun des einzelnen die Massstäbe gibt: dieses Tun soll,,gerecht" sein, es soll in Übereinstimmung stehen mit den Forderungen einer durchaus heteronomen, von den Interessen des Kollektivums, der Kirche, hergeleiteten Moral. Die kirchliche Doktrin von der naturrechtlichen Gemeinsamkeit alles Besitzes und der Sündhaftigkeit alles Strebens nach individueller Aneignung irdischer Güter lässt uns ihr wirtschaftliches Ideal erkennen in einer feudalen Naturalwirtschaft, einem hauswirtschaftlichen, Familien- oder genossenschaftlichen Betriebe 19). Daher die Abneigung der kanonistischen Wirtschaftspolitik gegen den Handel, denn im Wirtschaftsleben sollten Städte und Staaten selbstgenügsame Gemeinwesen bilden, die alle Gegenstände

17) Vgl. Janet, Hist. de la science polit. I. S. 388 fg.

18) Bryce a. a. O. S. 189.

19) Vgl. auch Oncken, Geschichte der Nationalökonomie I. S. 125.

ihres Bedarfs selbst erzeugen 20). Wo die städtische Entwicklung die Formen der Naturalwirtschaft überwunden hatte, trat der kollektivistische Gedanke in neuen Gestaltungen religiöser Färbung in Erscheinung: in den genossenschaftlichen Bildungen, den Zünften, Gilden, Innungen, welche die gleich interessierten Produzenten zu einheitlichen Körperschaften zusammenschlossen, mit unbedingter Solidarität der Interessen und Unterwerfung der Einzelnen unter die Bedürfnisse der Korporation.

Kollektivistisch gedacht ist auch die Eigentumstheorie des Feudalrechts, die dem Lehensherrn das Obereigentum an allem Grund und Boden eines Landes zuerkennt. Das mittelalterliche Recht fasst geradezu die beiden Begriffe Herrschaft und Eigentum unter dem einen Ausdruck dominium zusammen 21).

Die mangelnde Fähigkeit zur Analyse liess die Einzeldinge wie die Einzelmenschen immer hinter den Gruppen und Gesamtheiten zurücktreten. So,,erkannte sich der Mensch im Mittelalter nur als Rasse, Volk, Partei, Korporation, Familie oder sonst in irgendeiner Form des Allgemeinen“ 22). Er wurde mit seinen Produktionsmitteln zu einer untrennbaren Einheit zusammengefasst; er war ein Krieger, ein Landmann, ein Weber, ein Schmied, -seine Stellung in der Gesellschaft war eine für ihn entscheidende Eigenschaft, die er nicht aufgeben konnte, ohne sich aus der Gemeinschaft auszuschliessen 23). Ein Wechsel des Berufs erschien fast, unmöglich. Nur in seiner regelmässig durch die Geburt bedingten Eingliederung in eine soziale Gruppe findet er sein Recht. Der Gerichtsstand des Bauern ist ein anderer als jener des städtischen Handwerkers oder des Kaufmanns; der Adel hatte ebenso seinen eigenen Gerichtsstand, wie die Geistlichkeit den ihren. Der Gedanke des privilegierten Geburtsstandes ist ein Produkt der gleichen gei

20) Dignior est enim civitas, si abundantiam rerum habet ex territorio proprio quam si per mercatores abundet" (Thomas, de regim. princ. I. 12.). 21) Vgl. Gierke a. a. O. S. 93.

22) Burckhardt, Kultur der Renaissance in Italien 7. Aufl. I. S. 141.

23) Vgl. dazu die geistreichen Bemerkungen bei Patten, Development of English Thought p. 113 fg.

stigen Verfassung, die den Menschen nicht von dem ihm durch die Geburt anhaftenden Rechte zu scheiden vermag. Das Individuum handelt immer auch im Namen der Gruppe, der es angehört. Die Missetat eines einzelnen beschwört langwierige Kämpfe zwischen Städten und Rittern herauf.

Nicht das individuelle Interesse, sondern jenes der Gesamtheit bestimmt über das Schicksal des einzelnen, dem sein Anteil an den Lebensgütern entsprechend seiner Berufsstellung zugewiesen wird. Die Forderung, dass dem Handwerker wie dem Kaufmanne seine bürgerliche Nahrung gesichert werde, nicht mehr und nicht weniger, ist eine Konsequenz dieser Vorstellungswelt, die förmlich ein objektives Existenzmass für den einzelnen feststellt, und diesem Masse einen unwandelbaren Charakter zu verleihen sucht. Alles Streben nach Vermehrung individuellen Erwerbs und Gewinns steht im Widerspruche mit der Grundauffassung des Mittelalters: der Unveränderlichkeit, Starrheit der Begriffe und Masse.

An der Wirtschaftstheorie der Scholastik mag die Vorherrschaft der universalistischen Vorstellungen im einzelnen aufgezeigt werden. Der Wert der Güter, d. h. ihre Bedeutung im Schöpfungsplane und damit auch ihre Fähigkeit, den Menschen als Mittel der Bedarfsdeckung zu dienen, wurde aufgefasst als eine natürliche, der Gattung innewohnende Eigenschaft, wie etwa die Härte und das Gewicht. Bei der Übertragung eines Gutes verzichtete daher der bisherige Eigentümer auf ein bestimmtes Quantum an Wert; dies kommt zum Ausdrucke in dem später in unzähligen Variationen wiederholten Satze, dass im Handel der eine Teil nur das gewinnen könne, was der andere verliere 24). Ist der Wert eine objektiv feststehende, in den Gütern verkörperte Gattungseigenschaft, so wird beim ge rechten Tausche Gleiches gegen Gleiches hingegeben; der,,inneren Güte" der Dinge, ihrer bonitas intrinseca soll ihr Preis entsprechen 25), und das Geld bot den Massstab für die Bestim

24) Dieser Satz findet sich schon beim heil. Hieronymus, Ep. ad Hedib. (zit. b. Contzen a. a. O. S. 20).

25) Vgl. die Zitate aus Niders Tractatus de contractibus mercatorum bei Zuckerkandl, Zur Theorie des Preises S. 35 fg.

mung dieses Preises. Daher die Forderung, das pretium müsse mit dem valor übereinstimmen 26), die Forderung des justum pretium 27), von der später freilich mannigfache Ausnahmen zugelassen werden müssen, weil man wahrnahm, dass der ,,natürliche" Wert, d. h. die Stellung des Gutes als Gattungsbegriff im Schöpfungsplane, häufig mit dem Gebrauchswerte, d. h. mit der Bedeutung der Güter für die wirtschaftenden Menschen in Widerspruch trat 28). Die Fixierung der Preise durch die Obrigkeit, die kirchliche oder auch die weltliche, die Feststellung des ,,pretium legitimum", bedeutete daher keineswegs eine willkürliche Taxierung der Güter; sie hatte im wesentlichen nur die Aufgabe, den objektiv schon feststehenden gerechten Preis ein für allemal zu deklarieren 29).

Jede subjektive Schätzung, jede Beziehung des Güterwertes zu den konkreten, individuellen Bedürfnissen des wirtschaftenden Subjektes wird mit aller Entschiedenheit abgelehnt, auch bei solchen Dingen, bei denen der Affektionswert von grösster Bedeutung ist (Gemälden, Hunden usw.) 30). Der Wert des Gutes steht jenseits seiner Beziehungen zu dem Individuum, das seiner bedarf, und nur die Tatsachen des Wirtschaftslebens,

26) Zuckerkandl ebda S. 39, Endemann, Studien in der romanisch-kanonist. Wirtschafts- und Rechtslehre II. S. 36 fg.

27) Endemann, a. a. O. II. S. 31 fg., sucht in seinem höchst verdienstvollen Werke völlig rationalistisch die Preistheorie der Scholastik schlechthin aus ihrem Zusammenhange mit der Wucherlehre, also wesentlich aus der praktischen Politik zu erklären. Er übersieht, dass sie mindestens ebensoviele Stützpunkte in der allgemeinen philosophischen Grundanschauung ihrer Zeit findet.

28) Zuckerkandl a. a. O. S. 36 und Endemann a. a. O. S. 38 fg. Vgl. das Zitat aus Azorinus, Instit. mor. III lib 8 c. 21 (bei Endemann, Die nationalökon. Grundsätze der kanonist. Lehre in Hildebrands Jahrb. f. Nat. I. S. 360): „Constituitur pretium primo pro varietate rei naturalis, sed prout res humanis commodis et usibus conducit, nam si natura rei aestimaretur solum, plus valeret equus quam gemma, et plus homo quam equus; secundo pretium justum non semper aestimatur ex utilitate rei; nam res alioquin minus utiles plus valent aliquando: tertio pretia considerantur ex communi omnium aestimatione, et ideo pro varietate locorum, temporum, populorum augentur vel minuuntur. 29) Vgl. Endemann, Studien II S. 39: „Die Taxation soll. . . den wahren inneren Wert, die bonitas intrinseca zum Ausdruck bringen."

30) Vgl. Endemann, Studien II. S. 40.

die eine absolute Fixierung der Preise häufig unmöglich machten, erzwangen verschiedene Konzessionen an den Gedanken der Preisschwankung 31).

Ist der Wert eine den Gütern innewohnende, konstante Eigen-schaft, dann ist eine Wertveränderung nur dann zulässig, wenn. auch die Gestalt des Gutes geändert wird. Daher die Unterscheidung, ob die Weiterveräusserung eines Gutes nach erfolgter Bearbeitung geschah oder in unveränderter Gestalt. Im ersteren Falle galt es als erlaubt, die Wertsteigerung im Kaufpreisein Rechnung zu stellen; im zweiten Falle, dem eigentlichen Spekulationshandel, der an den Preisdifferenzen der Ware als solcher zu gewinnen sucht, fiel das Geschäft unter den Begriff der usura, des Wuchers, insbesondere dann, wenn bei der Preisbestimmung die antizipierte oder kreditierte Lieferung oder Zahlung in Anschlag gebracht wurde 32).

Der gleiche Vorstellungskreis gibt den Schlüssel zu der dem Mittelalter eigentümlichen Geldtheorie. Die objektive Gattungs-eigenschaft der Güter, ihre Nützlichkeit, verlangte nach einem gemeinsamen Massstabe, und diesen schien das Geld zu liefern: „Deceptio in pretio est prohibita,“ sagt Scaccia33), „,quia pretium et pecunia sunt mensura rerum". Als Gattungsbegriff besass das Geld für diese wenig entwickelte Wirtschaftsauffassungkeinen inneren, natürlichen Wert, da es unmittelbar durch Verbrauch keinen Nutzen stiftet; seine Nützlichkeit beruhte nicht wie jene anderer Güter auf einer Schöpfung Gottes, sondern auf einer Erfindung der Menschen, aus ihrem Willen, es als Wertmassstab zu verwenden, der eine Fixierung der Waren

31) So wird für den nicht obrigkeitlich festgesetzten Preis ein Schwanken zwischen einem höchsten und einem niedrigsten Preise für zulässig erklärt. (Endemann Studien II S. 65 fg.) Auch hier will Endemann (Nationalökon. Grundsätze S. 361) das Streben der kanonistischen Wissenschaft nach Regeln, nach „objektiv-abstrakten Sätzen“ lediglich aus ihrem Misstrauen gegen die menschliche Natur und ihrer Furcht vor dem Egoismus erklären; er vernachlässigt die tief im Geiste der Scholastik wurzelnde Vorstellung, dass es überall praestabilierte Werte geben müsse, die alle subjektive Willkür in der Preisbestimmung ausschliessen müssten.

32) Endemann, Nationalökon. Grundsätze S. 352.

33) Scaccia, Tract. de comm. § 1 q. 7.

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