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UNIV. OF CALIFORNIA

Einleitung.

Kollektivistische und individualistische

Weltanschauung.

Während verhältnismässig sehr langer Perioden seiner Geschichte ist das menschliche Denken von der Notwendigkeit beherrscht, den Gegensatz, den wir zwischen dem Ich und der Aussenwelt wahrnehmen, im Wege einer Unterordnung des Individuums unter die äusseren Erscheinungen zu lösen, den Menschen demnach als einen unselbständigen Teil des Weltganzen aufzufassen. Das Streben nach einer Orientierung in der Fülle des Weltgeschehens führt zur Vereinigung der durch gemeinsame Merkmale gekennzeichneten Dinge in gemeinsamen Begriffen. Diesen Begriffen wird, eben weil sie nicht etwa bloss als Vorstellungen des denkenden Individuums, sondern als Kategorien der Aussenwelt erscheinen, die jenseits des Ichs stehen, eine reale Existenz zuerkannt. Es ist dies die in der Philosophie als Realismus oder Universalismus bekannte Weltauffassung 1).

1) Ich ziehe es vor, in der folgenden Darstellung zur Bezeichnung der eben charakterisierten Richtung des Denkens den Ausdruck Universalismus zu verwenden, einerseits deshalb, weil dem Worte Realismus als Gegensatz von Idealismus heute eine zweite Bedeutung anhaftet und diese Synonymie die Klarheit gefährden könnte. So spricht selbst Jellinek, Allgem. Staatslehre, 2. Aufl., S. 166, von den „sich realistisch oder empirisch dünkenden Lehren“, um damit jene zu bezeichnen, denen das Individuum als die einzige reale, unabhängig von unserer subjektiven Synthese existierende Grösse erscheint. Anderseits gedenke ich, wie sich alsbald zeigen wird, dem Begriffe Universalismus eine besondere Färbung zu geben, die seinen ursprünglichen Umfang weit hinaus über den Sinn des alten scholastischen Terminus „Realismus“ erweitert, und es möglich macht, ihn auch auf jene Die Entstehung d. individualist. Sozialphilosophie.

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So entwickelt sich denn eine Stufenfolge der Über- und Unterordnung: der Drang nach einer einheitlichen Erfassung des Weltgeschehens treibt zur Annahme eines obersten Prinzips, einer Gottheit, die als Persönlichkeit erkannt wird. Der Be

griff des persönlich gedachten Gottes ist wohl die stärkste und mächtigste aller realistischen Vorstellungen, die intensivste Realisierung einer blossen Abstraktion. Die Gottheit schafft nach dieser Auffassung die Gattungen als von ihr abhängige, aber mit wirklichem Dasein begabte Kategorien. Das einzelne Ding, das Individuum erscheint dann als Teil dieser Gattung, als ein Teil, der jünger ist als sie, und von ihr Mass und Ziel seines Daseins, seine Form empfängt. In diesem Grundgedanken des Universalismus liegt der Gegensatz von Stoff und Form beschlossen, denn der Begriff einer getrennt vom Stoffe existierenden Form bedeutet die Realisierung einer Abstraktion 2). Auch jener philosophische Dualismus, der die Seele als die Form des Körpers erfasst, ist eine Konsequenz unversalistischer Vorstellungen.

Aufs engste berührt sich mit dieser Anschauungsform eine zweite, die auf der gleichen Grundstimmung des Denkens beruht. Nicht nur den Gattungsbegriffen wird der Charakter der Selbständigkeit, die Realität verliehen. Das Leben der Menschen in der Gesellschaft erzeugt eine Reihe von Verbänden als Ergebnis der gegenseitigen wirtschaftlichen und geistigen Abhängigkeit. Diese Verbände überdauern, unberührt von dem Wechsel ihrer Mitglieder, das Leben der einzelnen. Auch diese Verbände werden zurückgeführt auf die Absichten jenes obersten schöpferischen Weltprinzips, auch ihnen wird daher eine von den konkreten Individuen unabhängige Realität, geradezu eine Priorität vor ihren Gliedern zuerkannt; eine Sonderexistenz, ein höherer Zweck: der Charakter eines „Organismus“ 3).

Ideen auszudehnen, die dem späteren Vernunft- und Naturrecht zur Grundlage dienen. Denn die entscheidende Weltauffassung scheint mir hier die gleiche zu sein wie dort.

2) Vgl. Lange, Gesch. des Materialismus I, 5. Aufl., S. 173.

3) Vgl. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl., S. 175: „Der Begriff des Organismus ist das Resultat einer bestimmten Anschauungsweise. Eine

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