Imagens das páginas
PDF
ePub

allmählich verbreitenden Gedankenstrom grub später Helvetius ein weites Bett in seinem Werke „De l'Esprit", welches 1758 erschien. Die Lehre hat noch später in England und Frankreich Freunde und Vertreter gefunden; ihre Betrachtung würde den Zweck dieser Darstellung in keiner Weise fördern.

III.

Die Periode der Selbständigkeit.

Der Anfang der dritten Periode, derjenigen der Selbständigkeit, welche wir auf die erste und zweite folgen lassen, liegt schon in den beiden vorhergehenden. Die Begründer einer unabhängigen philosophischen Ethik sind Descartes in Frankreich 1 und Shaftesbury in England. Doch wenn wir ihnen diese Stellung zuweisen, so verkennen wir nicht, dafs der erstere den dualistischen Charakter der christlichen Lehre nicht zu überwinden vermochte, der Geist Beider einen grofsen Teil seiner Nahrung aus den Schriften der Alten und nicht zum mindesten der Stoiker zog. Auch erheben sich die Verdienste des Franzosen bei weitem nicht zur Höhe derjenigen des Engländers. Während Descartes eben nur die Grundlagen seiner Lehren skizziert, hat Shaftesbury in genialer, wenn auch durchaus nicht in einer gegen alle Stürme gefeiten Weise das Lehrgebäude in allen seinen Teilen aufgerichtet. Dies erklärt es dann auch, dafs Shaftesbury Butler und Hutcheson gegenüber eine weit autoritativere Stellung einnimmt, als Descartes Malebranche und Spinoza gegenüber. Die Anregung, welche von den Jüngern ausgeht, bringt Männer, wie Leibnitz und Wolff einerseits, Hume und Smith andererseits, zu welchen selbständigen Ergebnissen sie auch

1 Dieses Urteil wird überraschen, da die Philosophen ziemlich einstimmig die Unbedeutendheit der Cartesianischen Ausführungen auf dem Gebiete der Ethik anerkannt haben. So urteilt Jodl: „Von irgend welcher grundlegenden Thätigkeit kann dabei keine Rede sein: was er dabei vorbringt, sind grofsenteils Reminiscenzen aus der antiken Ethik.“ Er rühmt dagegen die Affektenlehre, vermisst aber die Darlegung, wie sich auch dem Drängen der Affekte der konsequent gute Wille erhebe, als welchen Descartes die Sittlichkeit definiere. Für wichtiger hält er seine metaphysische Anschauung über das Sittliche, a. a. O., p. 258, 259. Teilweise ähnlich Liard: „il renouvelle en morale les solutions de Socrate et des Stoïciens . . . il obéit à l'empire des souvenirs et des traditions." Die Moral Descartes' sei kurz diese: "Il suffit de bien juger pour bien faire etc. (Descartes 1882. p. 246 fg) Vergleiche auch Wundts geistvolle Darstellung in seiner,Ethik'. Ich folge im Paragraphen IV Windelband, weil er, wie mir scheint, am klarsten die originelle Richtung Descartes' dargestellt hat, in welcher sich seine Nachfolger bewegten. Sind diese aber zu originellen Leistungen gelangt und läfst sich deren Keim bei Descartes nachweisen, so wird man ihn wohl auch als einen Begründer der modernen Ethik betrachten müssen, wie geringfügig auch seine Thätigkeit gewesen sein mag.

gelangt sein mögen, doch in innere Beziehungen zu den Gründen der selbständigen Schulen. Nur wird Smith durch ein viel festeres Band an Shaftesbury geknüpft, als Wolff an Descartes.

Beide Schulen haben ziemlich unabhängig voneinander ihre Probleme erörtert; das liegt in der fundamentalen Verschiedenheit ihres wissenschaftlichen Charakters. Die von Frankreich ausgehende Reihe von Moralphilosophen bindet die Ethik an die Metaphysik. England bringt eine stattliche Anzahl von ethischen Empirikern hervor, welche die Wurzel alles Sittlichen in einem Gefühle suchen; doch entbehrt auch diese Schule nicht der Voraussetzung einer Metaphysik. In beide Reihen aber drängen sich störend und fördernd die epikureisch-reformatorisch-augustinischen Anschauungen vom menschlichen Egoismus. Die englische Schule hat sich wohl ausführlicher mit ihnen auseinandersetzen müssen als die französich-niederländisch-deutsche; aber in Spinozas System sind sie zu viel kräftigerer Entfaltung gekommen. Aber auch die englische Schule verhält sich durchaus nicht ablehnend gegen sie, nur dafs sie die theoretischen Ansprüche der Individualisten zurückweist. Sie leugnet den Egoismus als Princip des Moralischen; aber sie anerkennt ihn als ein wichtiges Element der Ethik. Sie glaubt nicht, dafs sich aus dem Egoismus die sittlichen Erscheinungen herleiten lassen; aber sie betrachtet ihn als eine gewaltige und in gewissen Grenzen berechtigte Macht im menschlichen Leben. Hätte man stets den Egoismus als Princip und Element des Sittlichen unterschieden, so wären die sonderbaren Betrachtungen über den Widerspruch in Adam Smiths Werken unmöglich gewesen.

Fragen wir nun, wie es denn komme, dafs gerade die englische Ethik die meisten Erörterungen über die Bedeutung des menschlichen Egoismus zu Tage gefördert hat, obgleich die epikureisch-augustinischen Anschauungen doch von Frankreich ausgegangen waren und von dort ihre Ausprägung empfangen hatten, so kann man mit gutem Rechte antworten: es liegt daran, dass Hobbes, Locke und Mandeville, die energischsten, bekanntesten, am meisten gelesenen Vertreter dieser Theorien, Engländer waren, so sehr der erste und letzte ihrer Bildung oder Abstammung nach als Franzosen betrachtet werden müssen. Ja, noch mehr, Hobbes ist das Triebrad der vorshaftesburyschen, Mandeville dasjenige der Ethik nach Shaftesbury. Aber es wäre doch eine sehr äufserliche Erklärung. Eine, wie mir scheint, mehr den Kern der Sache treffende suche ich später in einem besseren Zusammenhange zu geben. Hier ist es wohl angezeigter, einen Überblick über das Gesamtgebiet zu gewinnen.

Es gehen im 18. Jahrhundert drei ethische Grundrichtungen nebeneinander her: eine metaphysische, eine empirisch-sentimentale (Gefühlsethik) und eine empirisch - egoistische (Theorie des Selbstinteresses). Als den Endpunkt, bezüglich Höhepunkt der einen kann man Wolff, als den der andern Adam Smith und

als den der dritten Helvetius betrachten. So ist die Geschichte der modernen philosophischen Ethik bis tief in das 18. Jahrhundert hinein die Geschichte des Ringens des englischen und des französischen Geistes. Frankreich ist die Heimat sowohl der metaphysischen Vernunftsittlichkeit, wie der empirischen, egoistischen Verstandessittlichkeit; England giebt der Ethik durch Bacon eine neue Methode und durch Shaftesbury eine neue Grundlage im Gefühle. Erst nachdem diese Schulen reiche Früchte getragen haben, wiewohl ihre Kräfte durchaus noch nicht erschöpft sind, weist Kant der Moral neue, wenn auch unnatürliche Bahnen.

Unverhältnismäfsig grofs erscheint der Anteil Frankreichs an der Entwicklung der modernen Kultur, soweit sie hier in unsern Gesichtsbereich fällt. Im 16., 17. und 18. Jahrhundert haben Franzosen für den Sieg der naturrechtlichen Ideen gewirkt, im 16. und im 18. mit Enthusiasmus und Fanatismus, dort die grofsen Juristen, hier die Physiokraten und J. J. Rousseau. In denselben Jahrhunderten erwarben sie sich gleichfalls grofse Verdienste um die Schaffung einer selbständigen philosophischen Ethik. Gewissermassen als Vorposten des französischen Geistes stehen Hobbes und Mandeville auf dem Boden Englands. So werden wir denn eine Übersicht über die Entfaltung der beiden Schulen selbständiger Ethik am passendsten mit Descartes und seinen Nachfolgern beginnen.

IV.

Die metaphysische Ethik.

Im folgenden wird man keine geschichtliche Darstellung der neueren Ethik erwarten. Sie interessiert uns nur soweit, als sie der Erkenntnis der philosophischen Grundlagen der französischenglischen Nationalökonomie dient. Da nun die metaphysische Schule nach dieser Richtung von sehr geringer Bedeutung ist, so wird sie nur eine flüchtige Aufmerksamkeit beanspruchen dürfen.

Über Descartes sagt Windelband: Dieselbe Vernunft, welche der Angelpunkt seiner theoretischen Philosophie war, wurde auch das Princip seiner Moral... das ganze moralische Leben besteht daher nach ihm in einem Kampfe der denkenden Seele mit jenen störenden Lebensgeistern des physischen Organismus, und das Ideal des sittlichen Lebens liegt für ihn darin, dafs der Geist durch die Überwindung der Leidenschaft sich zu voller Klarheit und Deutlichkeit emporarbeitet "1. Was Cartesius gab, waren Ansätze zu einem ethischen System; die Keime wurden von Malebranche weiter entwickelt. Seine Moralphilosophie geht von Gott aus, welcher die Ursache aller Erscheinungen ist und sich mit unend

1 Windelband, Geschichte der neueren Philosophie I, p. 179 u. 181.

licher Liebe selbst liebt. Er hat den Menschen geschaffen und mit Verstand und Willen begabt, um ihn zur Erkenntnis und Liebe Gottes zu befähigen. Alle wahre Sittlichkeit ist Erkenntnis und Liebe Gottes, die identisch sind. ,,Sittlichkeit ist nichts anderes, als die Wertschätzung aller einzelnen Dinge nach dem Mafsstabe, den sie für Gott und die Beziehung auf Gott besitzen" 1. Gott allein verdient daher Liebe, alle übrigen Geschöpfe nur Achtung und Wohlwollen. Wäre der Mensch nur mit Verstand und Willen ausgerüstet, so würde die Unsittlichkeit unmöglich sein. Da er aber einen Leib besitzt, so ist er Affekten und Leidenschaften ausgesetzt, welche zwar zu seiner Selbsterhaltung notwendig sind, aber auch seine Einsicht verwirren und seiner Liebe Gegenstände zuwenden, die sie nicht verdienen. Unsittlichkeit ist daher das Sich-Entfernen von der Gottheit durch die Verwirrung der Einsicht" 2.

[ocr errors]

So war die philosophische Ethik des Cartesius durch Malebranche wieder mit theologischen Ideen durchsetzt worden.

In der Lehre Spinozas fällt der Gegensatz des pantheistischen Systems und des egoistischen Charakters seiner Ethik sehr stark auf. Er hat den Epikureismus von Gassendi und Hobbes in sein System verwoben, in einer höheren Einheit aufgehoben. Guyau nennt sein System eine Versöhnung von Stoizismus und Epikureismus, der rationalistischen und der utilitaristischen Ethik 3.

Die Einzelwesen haben der absoluten Substanz gegenüber keine selbständige Stellung, sie sind mit den Wellen zu vergleichen, welche sich aus dem Meere erheben, um wieder in das Meer zurückzusinken. Allein Spinoza betrachtet, wie die antiken Pantheisten, den Selbsterhaltungstrieb als den Fundamentaltrieb jedes Individuums. Aber er unterscheidet sich von ihnen darin, dafs den Begriffen „gut“ und „böse" jede objektive Existenz abgesprochen wird: sie bestehen nur subjektiv für das Individuum. Es sind dies notwendige Konsequenzen seines Systems. Gut ist dasjenige, was es selbst erhält, böse, was ihm feindlich entgegentritt.

Da nun Spinoza das Erkennen für die Grundkraft des Geistes hält, so ist alles gut, was sie fördert, alles böse, was sie hemmt. Als die höchste Erkenntnis bezeichnet er die Erkenntnis Gottes, das heifst die Einsicht in den Zusammenhang der Dinge, in die Notwendigkeit alles Geschehens. Sie verleiht nicht nur die Ruhe der Resignation in allen Widerwärtigkeiten, da sich alles notwendigerweise so ereignen mufs, sie ist auch Quelle der höchsten Glückseligkeit.

1 Jodl, p. 264.

2 Jodl, p. 266.

3 Guyau, p. 227 ffg.

Dieser Zustand der Glückseligkeit und der Ruhe des Geistes ist aber in steter Gefahr, durch die Leidenschaften getrübt zu werden. Sie müssen daher der vernünftigen Einsicht unterworfen werden. Die Affekte dürfen nicht die Vernunft beherrschen, andernfalls ist das Individuum unfrei, sondern die Vernunft mufs die Affekte beherrschen. Die Freiheit besteht also in der erfolgreichen Bethätigung der Vernunft; tugendhaft ist derjenige, welcher, unbekümmert um das Wohl und Leiden anderer, seine Affekte und Leidenschaften beherrschend, sich ganz dem Zuge nach tiefster Erkenntnis hingiebt. So fallen Gottesliebe und Selbstliebe zusammen.

Durch den Widerspruch gegen Spinoza wurde Leibnitz auch in seinen ethischen Anschauungen bestimmt. Seine Moralphilosophie ruht ebenfalls auf dem Fundamente seiner Metaphysik. Er nimmt bekanntlich im Gegensatze zu Spinoza eine Unendlichkeit von Substanzen an, die er Monaden nennt. Jede spiegelt die Welt wider und ist ein Ebenbild Gottes. Die Monaden unterscheiden sich jedoch durch die gröfsere oder geringere Klarheit der Vorstellungen voneinander. So kann dann Leibnitz nicht blofs ein Versenken in die Erkenntnis Gottes für Tugend erklären, sondern er lehrt neben der Gottesliebe die Liebe zu den andern Monaden, den Mitmenschen. Da diese um so wirksamer werden kann, je mehr das Individuum seine Vermögen ausgebildet hat, so betrachtet er die vernünftige Selbstliebe als Tugend.

Den Begriff der Selbstvervollkommnung löste Wolff aus dem System unseres grofsen Philosophen und machte ihn zu seinem alleinigen Moral princip. Die Selbstvervollkommnung, welche nur in dem Zusammen- und Aufeinanderwirken der Menschen in der Gesellschaft und im Staate möglich ist, wird nun auch die Seele seines Naturrechtes; sie ermöglicht es ihm, über den dürren Sicherheits- und Rechtsstaat zum Wohlfahrtsstaate zu gelangen.

Der flüchtige Gang durch die Lehrgebäude der Vernunftsittlichkeit läfst einen starren Individualismus, ja Egoismus der Systeme erkennen, der von dem epikureischen kaum verschieden ist, aber in Deutschland abgeworfen wird. Abgesehen von dem deutschen Zweige der metaphysischen Ethik, bildet die Selbsterhaltung den centralen Begriff sowohl im Neu - Epikureismus wie in der französisch-niederländischen Philosophie der Descartes, Malebranche und Spinoza. In der Geringschätzung der menschlichen Affekte stehen beide so ziemlich auf gleicher Stufe; immer werden Rationalismus und Utilitarismus zur Unterjochung der Natur bereit sein. Hier heifst das Ziel alles sittlichen Thuns Heiterkeit des Gemütes, äufserer Friede, dort ungetrübte Ruhe des Erkennens. Jedoch wird gerade jetzt auch ein fundamentaler Unterschied deutlich sichtbar. In den Systemen der metaphysischen Ethik erscheint die Vernunft nicht blofs als Führerin

Maou

« AnteriorContinuar »