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gedanken am grofsartigsten und selbständigsten verwertet und mit anderen Ideen zu einem System des Pantheismus verbunden worden waren, die Niederlande, in denen Locke die Mufse fand, sein Werk über den menschlichen Verstand zu vollenden. Derjenige aber, der den Kampf vor den Augen des gebildeten Europas mit der Kraft eines zersetzenden Geistes und ausgerüstet mit einem ungeheuren Wissen wieder aufnahm und siegreich zu Ende führte, war kein geringerer als Pierre Bayle.

Dafs die Ethik der Religion nicht bedürfe, beweist er aus der Erfahrung. Die Unsittlichkeit bestehe nicht selten zugleich mit dem Glauben, der Glaube bewirke durchaus nicht immer gute Werke, wohl aber häufig Hafs gegen Andersdenkende und ähnliche Leidenschaften; auch habe es Atheisten gegeben, die ein ganz reines Leben geführt hätten. Er legt sich daher die Frage vor, ob nicht in der Natur des Individuums die Principien der Sittlichkeit lägen, ob nicht aus dem geselligen Zusammenleben der Menschen ethische Gebote erwüchsen. Bayle sucht diese Probleme zu lösen; aber die Ansätze zu einer positiven Theorie sind weniger wertvoll als seine Kritik und sein Skepticismus. Dadurch bahnte er der philosophischen Ethik Englands den Weg nach Frankreich. Hier war eine jener Stillen eingetreten, welche dem ungewöhnlich kräftigen Wirken grofser Geister zu folgen pflegen. Dort aber führte Shaftesbury die englische Moralphilosophie in kurzer Zeit zu einer ungewöhnlichen Höhe, auf der sie sich ein halbes Jahrhundert zu behaupten wufste. Mit Newton und Locke setzte auch Shaftesbury über den Kanal, und bald scharte sich um ihn eine Zahl der hervorragendsten Geister Frankreichs. Doch haben wir hiervon zunächst noch nichts zu berichten.

II.

Die Periode der Anlehnung. Der Neu-Epikureismus.

Dies ist die erste vorbereitende Periode der modernen Moralphilosophie, welche durch Bayle zeitlich in die folgenden hinübergeführt wird. Die zweite dürfte man vielleicht die Periode der Anlehnung nennen. Denn die führenden Geister begnügen sich nicht mehr mit der Versicherung, dafs eine philosophische Ethik möglich sei, und mit Hinweisen darauf, auf welcher Grundlage sie aufgebaut werden müsse; aber, was sie schaffen, ist doch nur eine freiere oder gebundenere Reproduktion und Verarbeitung heidnischer oder christlicher Gedankenelemente; es sind Gassendi, Hobbes, Locke und die Cambridger Theologen. Das alles beherrschende System ist der Epikureismus; das Platonische Element diente den Cambridger Philosophen zur Verteidigung gegen das epikureische System.

Die epikureische Ethik gehört bekanntlich zu den Lehren des wohlverstandenen Selbstinteresses. Ihr Ausgangspunkt ist der menschliche Egoismus, ihr Ziel Leibesgesundheit und die Gemütsruhe. Die Vernunft empfiehlt dem sinnlich-selbstsüchtigen Menschen bestimmte Verhaltungsmafsregeln, mit denen das höchste Gut, die Gesundheit und die Heiterkeit des Geistes, erreicht wird. Im Zusammenhange mit diesem Ziele steht der Friede als Zweck der Staatsgründung. Der siebente Band des „Abrégé de la philosophie de Gassendi", welcher den Titel „La Morale" führt, zeigt uns Gassendi überall als den klaren Ausleger, als den treuen Verteidiger des Meisters. Die Schmerzlosigkeit des Leibes und die Ruhe des Gemütes bilden die Wollust, welche Epikur als Ziel des glücklichen Lebens empfiehlt, führt er aus; der Jünger lehrt die Tugenden kennen, welche zu jenem Ziele leiten; die Selbstliebe tadelt er nur, wenn sie den Forderungen des wohlverstandenen Selbstinteresses widerstrebt1; er führt die Leidenschaften auf Lust- und Unlustempfindungen zurück.

In den Werken des andern grofsen Schülers Epikurs finden wir die Lehre des Meisters selbständiger dargestellt. Das Ziel seiner Ethik ist, wie man sich erinnern wird, ein beschränkteres, da sie nur vom Staate handelt: es ist die äufsere Ruhe, der Friede, welchen eine starke Staatsgewalt verbürgt, ohne welchen die Seelenruhe des Individuums, seine Selbsterhaltung in Gefahr ist. Die sittlichen Grundsätze, welche Hobbes für den Naturzustand aufstellt, sind Mittel, um sich den äufseren Frieden zu sichern; diesen Stoff presst er dann in die antik-scholastischen Grundbegriffe des göttlichen, natürlichen und bürgerlichen Gesetzes. Von gröfserer Bedeutung für die folgende Zeit aber wurde er durch die Schilderung der menschlichen Natur, welche er im Anfang seines Werkes „Über den Bürger" entwirft. Gassendi macht von dem menschlichen Egoismus kein grofses Wesen; denn er ist eben selbstverständlich. Hobbes aber, der Zeitgenosse der Puritaner, malt ihn in christlicher Weise: die Menschennatur ist jeder selbstlosen, edlen Regung unfähig. Doch brauche ich diesen Punkt nur anzudeuten, da schon in dem Abschnitt, welcher von dem Naturrecht handelt, über jene Verbindung der reformatorischchristlichen Lehre und des Epikureismus das Nötige gesagt wor

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1 In seiner Psychologie heifst es: L'un et l'autre (l'amour du plaisir et l'amour de soy mesme) sont veritablement d'ordinaire improuvez comme vicieux, neanmoins cela n'empesche pas qu'ils ne soient tous deux naturels, comme nous montrerons dans la Morale lorsque nous expliquerons en quoy l'un et l'autre est légitime ou blâmable. Bernier, VI, p. 431. Das erste Naturgesetz Gassendis ist: Que chacun ne recherche que son bien-être et son intérêt, et règle en conséquence ses sentiments et ses actions. Ein anderes: Que la charité bien ordonnée est, comme on dit d'ordinaire, de commencer par soi-même. Damiron, Essai sur l'histoire de la Philosophie en France au XVIIIème siècle 1846, I, p. 486. Siehe über Gassendi auch Lotheissen, Gesch. d. frz. Litt. im 17. Jahrh., II, p. 408.

den ist. 1 Aber es ist wichtig, hervorzuheben, dafs Hobbes dem Begriff der Selbstsucht nicht blofs in dem Naturrecht einen breiten Raum zu verschaffen wufste, sondern ihn so kraftvoll in die Ethik einführte, dafs die Philosophen der folgenden Zeit sich mit ihm auseinandersetzen mussten.

Nicht genug damit, die der Theorie des wohlverstandenen Selbstinteresses zu Grunde liegende psychologische Annahme wurde einer erneuten Prüfung unterzogen. Die Lektüre Montaignes und Gassendis rief in Frankreich ungewöhnliche Wirkungen hervor; es bildeten sich in Paris epikureische Gesellschaften, die eine Reihe bedeutender Männer zu ihren Mitgliedern zählten; unter anderen werden Larochefoucault, seine Freundin Madame de la Fayette und Molière genannt. Der Epikureismus des berühmten Herzogs verquickte sich mit einem anderen bekannten Elemente. Wir erwähnten vorher die Wiederaufnahme der Augustinischen Lehren durch Jansen und Melebranche; im Augustinismus tritt aber die christliche Ansicht von der natürlichen sittlichen Unfähigkeit des Menschen am schneidendsten hervor. Augustinismus und Epikureismus verbanden sich noch einmal und erzeugten die Maximen des Herzogs von Larochefoucault, zu deren völliger Charakterisierung es noch gehört, dafs ihr Verfasser die Cartesianische Vorstellungsweise des Seelenlebens teilt3.

Sie streifen das Gebiet der Ethik nur flüchtig; wir erfahren blofs, dafs Larochefoucault die Tugend in die Selbstüberwindung setzt, was sowohl christlich als utilitaristisch ist; denn ob der Mensch die himmlische Glückseligkeit oder einen irdischen Vorteil erreichen will, mag dieser in sinnlicher Erregung oder in Gemütsruhe, in Ehre oder Reichtum bestehen, stets wird die Bändigung der mannigfachen menschlichen Triebe täglich notwendig sein. Jene Ansicht von der Tugend muss aber um so mehr her

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1 Hobbes verweist im Vorwort an die Leser" auch darauf, dafs nach der Heiligen Schrift alle Menschen schlecht seien. Über den Bürger a. a. O., p. 22.

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2 Siehe den Artikel Epicure" in der ,, Encyklopädie", Tome V, p. 785. Er ist nach Rosenkranz von Diderot verfafst.

3 Vgl. meinen Aufsatz,,Larochefoucault und Mandeville", Schmollers Jahrbuch 1890. Als ich vor einigen Jahren diesen Aufsatz verfasste, kannte ich weder den obengenannten Artikel Epicure, auf den ich erst durch Jodl (Note 7, p. 431) aufmerksam wurde, noch die Darstellung Larochefoucaults bei Hallam in seinem bekannten Werke über die Litteratur des 15, 16. und 17. Jahrhunderts, IV, p. 193, noch endlich das ausführliche Kapitel, welches ihm Lotheissen in seiner Geschichte der französischen Litteratur des 17. Jahrhunderts gewidmet hat. Sie haben meine Auffassung verstärkt. Die Darstellung der epikureischen Gesellschaften, welche D. giebt, bestätigt meine Ansicht von der theoretischen Beschäftigung L.s mit dem Epikureismus. Hallam macht auch auf die Beschränkung aufmerksam, welche in den Adverbien souvent, d'ordinaire" u. s. w. liegen. Lotheissen wird in seinen sehr anziehenden Ausführungen meines Ermessens der philosophischen Bedeutung L.s nicht gerecht.

vortreten, je schlechter der Mensch dem Theoretiker erscheint. und je höher und idealer er das Lebensziel setzt.

Die Aphorismen haben um so mehr Wichtigkeit für die psychologische Analyse; man darf sie Weiterbildungen der Epikureischen Psychologie nennen. Die kurze und doch so klare Darstellung, feine Beobachtung, eindringliche Analyse, satyrische Schärfe erwarben der Auffassung Freunde, dafs alle menschlichen Gefühle und Begehrungen in einem unmittelbaren oder mittelbaren Verhältnis zum Egoismus stehen. Genaue Kenner der epikureischen Keime und der zeitgenössischen religiösen, philosophischen und schönen Litteratur Frankreichs werden Larochefoucaults Bedeutung vielleicht geringer anschlagen; die Anregungen, die er in der epikureischen Gesellschaft erfuhr, können wir, soweit meine Kenntnis reicht, gar nicht in Erfahrung bringen. Als sein bedeutendstes Verdienst erscheint es, dafs schon Larochefoucault Selbstliebe und Selbstinteresse unterschied. Auch wird von ihm das, wenn auch seltene Vorkommen altruistischer Neigungen durchaus nicht geleugnet, nur dafs er auch sie aus der Selbstliebe herleitet. Er hat in der psychologischen Analyse Fortschritte vollzogen, die wir in Erörterungen über diesen Punkt heutigen Tages zuweilen vermissen.

Nicht lange nachher wird eine in der psychologischen Auffassung dieser ähnliche Lehre von Locke vorgetragen. Er sucht das Sittliche aus Lust- und Unlustempfindungen zu erklären: der Verstand gelangt durch die Erkenntnis des Glückes und Unglückes, welche die von Gott eingesetzte Naturordnung bestimmten Handlungen folgen läfst, zu Erfahrungssätzen über Gestattetes und zu Vermeidendes, welche ihre Sanktion durch das positive Gesetz und die öffentliche Meinung erhalten 1. So gross nun auch die erobernde Kraft der Lockeschen, gröfstenteils zuerst von Cumberland und Hobbes ausgesprochenen Ideen angeschlagen werden mufs, so hat doch in England sehr wahrscheinlich Mandeville am meisten zur Verbreitung einer niedrigen Ansicht von der menschlichen Natur beigetragen.

Er setzt alle Handlungen in Beziehung auf die Selbstliebe; die Tugend ist nach ihm objektiv ein Mittel, um weisen und herrschsüchtigen Menschen die Leitung der Massen zu ihren Zielen zu ermöglichen; subjektiv geht sie aus dem Wunsche eitler und ehrgeiziger Menschen nach Bewunderung und Ansehen hervor. Von folgenschwerster Bedeutung aber war es, dafs Mandeville mit dieser psychologisch-ethischen Anschauung an die Erklärung des wirtschaftlichen Lebens herantrat. Das Getriebe der wirtschaftlichen Welt erklärt er allein aus dem Spiel mannigfacher, sehr oft frivoler Bedürfnisse und rein selbstsüchtiger Regungen. Der Egoismus ist das grofse Triebrad der menschlichen Wirtschaft. Von dieser Erkenntnis gelangt er zu einer origi

1 Siehe Jodl a. a. O., p. 145 ff.

nellen Auffassung der ethisch-socialen Grundlagen der Volkswirtschaft. Obwohl seine Ansicht von der Gesellschaft eine organische ist, so erblickt er in ihr wirtschaftlich zunächst nur Individuen, welche durch den Trieb nach Genufs und Gewinn zur höchsten Anstrengung angespornt werden, aber gröfstenteils, ohne es zu wissen und zu wollen, durch das System der gesellschaftlichen Arbeitsteilung gewissermalsen in eine altruistische Wirksamkeit hineingezwungen werden; sie müssen Dienste gegen einander austauschen und darum auch für andere schaffen. Also ist die Volkswirtschaft infolge der Arbeitsteilung eine Tauschgesellschaft egoistischer Individuen. So wichtig nun auch seine Hervorhebung der Arbeitsteilung ist, so hat Mandeville doch ihre spezifisch national-ökonomische Seite noch nicht gesehen; er betrachtet sie nicht als ein Mittel, um die Masse der Produkte zu vermehren. Ebenso wichtig war es, dass er, angeregt durch die christliche Lehre von dem Fluche, welchen Gott über die Erde und die ersten Menschen nach dem Sündenfalle aussprach, und belehrt durch die Beobachtungen, welche er in seinem Geburtslande Holland gemacht hatte, die wirtschaftliche Arbeit als einen mühevollen und nicht selten gefährlichen Kampf mit der Natur, die Arbeit selbst als eine Last betrachtete. Im Schweifse seines Angesichtes soll der Mensch sein Brot essen. Daher erscheint es ihm so wichtig, die Arbeiterklasse in dem thatsächlichen Zustande wirtschaftlicher Hörigkeit zu erhalten.

Ich will nicht dabei verweilen, wie seltsam sich auch in Mandeville epikureische und christliche Gedankenelemente durchdringen, ich will auch nicht nachzuweisen suchen, dass die ethischsocialen Grundlagen: Bedürfnisse und Egoismus, Arbeitsteilung und Tauschgesellschaft, Kargheit der Natur und Last der Arbeit, welche Mandeville für die Volkswirtschaft aufzeigt, thatsächlich diejenigen der englischen politischen Ökonomie sind. Denn wer einmal ein Lehrbuch der theoretischen Nationalökonomie in der Hand gehabt hat, wird sie wiedererkennen. Bei Smith treten sie sehr klar hervor; er verbindet aber damit die organisch-physiologische Theorie der Volkswirtschaft, welche von Quesnay aufgestellt worden war.

Dagegen möchte ich bemerken, dafs Mandevilles Lehre von der wirtschaftlichen Gesellschaft eine konsequente Weiterentwicklung der Grundanschauung des epikureischen Naturrechtes ist, welches einen individualistischen Charakter hat. Mandeville baut auch auf dem Fundamente der Gassendi und Hobbes. Originell aber war es, dafs er den wirtschaftlichen Gesichtspunkt in die naturrechtliche Gesellschaft hineintrug. Die Menschen der wirtschaftlichen Gesellschaft werden nicht durch das egoistische Bedürfnis nach Frieden, sondern durch das ebenso selbstsüchtige Bedürfnis nach den Diensten anderer zusammengebunden.

Diesem sich von Montaigne bis Mandeville erstreckenden und Forschungen (43) X 2. Hasbach.

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