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Der häufige Gebrauch dieses Wortes könnte dazu verführen, noch nach andern Provinzen der Naturordnung auszuspähen, z. B. der beständigen Tendenz des Marktpreises, sich dem natürlichen zu nähern, was weiter bedeutet, da sich der Preis aus Einkommenteilen zusammensetzt, dafs die Einkommenzweige ihre „natürliche“ Höhe zu erreichen suchen. Als ein Specialfall des Preisgesetzes erscheint die natürliche Anpassung der Bevölkerung an die Nachfrage nach Arbeit1. In allen diesen Fällen strebt das Selbstinteresse den volkswirtschaftlich günstigsten Zustand der richtigen Versorgung mit Waren und Menschen an. Es erreicht nach seiner Meinung diesen Zweck auch sicherer, wenn Beschränkungen der natürlichen Freiheit nicht vorhanden sind. Doch da Smith selbst diese Provinzen nicht in das Gebiet der Naturordnung einbezogen hat und auch andere wichtige Voraussetzungen zu ihrer Einbeziehung fehlen, so dürfen wir mit diesen wenigen Worten an dem Gegenstande vorübergehen.

Mehr vermag ich vom Smithschen Naturrecht nicht zu erkennen. Es gleicht einer Gebirgslandschaft im Nebel; hier und da treten einige Gipfel, Zacken und Felswände hervor; aber auch das, was wir sehen, ist undeutlich und verschleiert. Der gröfste Fehler, in welchen wir unter diesen Umständen sehr leicht verfallen können, besteht in dem Glauben, dafs auch Smiths Naturrecht wie dasjenige Quesnays zu einem wirtschaftlichen zusammengeschrumpft sei. Aber ein flüchtiger Blick auf die Systeme des Naturrechtes, welche andere berühmte Schotten hinterlassen haben, belehrt uns, dafs Smith, als Nachfolger Hutchesons und Zeitgenosse Fergusons, das ganze Naturrecht vorgetragen haben müsse. Wäre dies nicht der Fall, dann hätte es gewils Dugald Stewart vermerkt. Die scheinbare Übereinstimmung zwischen Smith und den Physiokraten entsteht also dadurch, dass wir von Smiths Naturrecht nur dasjenige zu erkennen vermögen, worauf sich nach Quesnays freiem Entschlusse das Naturrecht beschränken

1 It is in this manner that the demand for men, like that for any other commodity, necessarily regulates the production of men, quiekens it when it goes on too slowly, and stops it when it advances too fast. I, p. 108.

2 So sieht man z. B. nicht ein, weshalb es vernunftgemäss sein sollte, dafs die natürliche Höhe des Arbeitslohnes gerade nur das zum Leben unumgänglich Notwendige betrage und die Instinkte der Menschen so wenig damit harmonieren; weshalb die natürlichen Instinkte, welche die Fortpflanzung herbeiführen, nicht den verschiedenen gesellschaftlichen Zuständen angepafst sind, und das Ziel der Anpassung der Bevölkerung an die Nachfrage nach Arbeit immer nur durch die gräfsliche Vernichtung von Menschen in dem stationären und zurückgehenden Gesellschaftszustande, nicht durch ein Erlahmen des Geschlechtstriebes erreicht werden kann. Der wesentlichen Merkmale der Naturordnung Smiths sind aber zwei: 1) dafs sie vernunftgemäfs sei, 2) dafs das Vernunftgemässe dem Menschen durch natürliche Triebe empfohlen werde.

sollte. Auch jener Vermischung des Nützlichen und Gerechten, welches wir bei den Physiokraten gefunden haben, wird sich Smith in seinen Vorträgen über das Naturrecht nicht schuldig gemacht haben, obwohl es uns so erscheint, da uns zur ErKenntnis seines Naturrechtes nur sein nationalökonomisches Werk zur Verfügung steht.

Andererseits begegnen wir in seinem Werke derselben Anschauung, dafs das Nützliche und Gerechte zusammenfallen. Aber während die Physiokraten aus der Erkenntnis das Nützlichen unter der Voraussetzung eines allgütigen Schöpfers das Gerechte herleiten, glaubt Smith, dafs das Gerechte auch das Nützliche sei und dafs der Mensch zur Übung des Gerechten-Nützlichen durch natürliche Triebe angereizt werde. Für jene ist die natürliche Ordnung ausschliesslich eine rechtliche Ordnung, welche durch den Staat eingeführt und aufrechterhalten werden mufs für Smith ist sie eine psychologisch-ethische Ordnung, die aus diesem Grunde der Rechtsordnung viel weniger bedarf. Wenn der Staat den natürlichen Lauf nicht stört, sich möglichst von der Volkswirtschaft zurückzieht und nur die Gerechtigkeit walten läfst, dann wird sich schon von selbst der Wohlstand einfinden. Stellt man sich aber in einige Entfernung, so dafs diese Verschiedenheiten der Systeme verschwinden, so fällt doch eine überwiegende Übereinstimmung auf. Smith und Quesnay knüpfen eng an das Naturrecht Lockes an, welches auf stoischen Grundlagen ruht. Beide bilden den Lockeschen politischen Individualismus zum wirtschaftlichen fort, sie sind die Väter der freien Konkurrenz. Nicht so klar wie bei Quesnay tritt bei Smith der Zusammenhang mit den Bedürfnissen bestimmter Klassen der englischen Gesellschaft hervor, obwohl es uns bekannt ist, dafs zu seiner Zeit das alte Gewerbe und die alte Landwirtschaft in völliger Auflösung begriffen waren. Beide betrachten den wirtschaftlichen Egoismus als die Seele des Wirtschaftslebens, beide sind von einem gläubigen Optimismus erfüllt, der in Erstaunen setzt, beide lassen das Nützliche und Gerechte zusammenfallen. Wir sind damit in Gedankengänge geraten, in denen wir uns am Faden des alten Naturrechts, auch des Lockeschen, nicht mehr zurechtfinden.

Eine Reihe von Fragen erhebt sich, die sich zunächst auf Quesnay beziehen, die man aber auf Smith passend anzuwenden imstande sein wird.

Wie kommt es, dafs Quesnay die Naturordnung der sittlichen Welt so eng mit der Welt- und Naturordnung verbunden, dafs er theoretische Naturgesetze der Wirtschaft gelehrt hat? fragen wir. Wie ist es zu erklären, dass man auf die Triebe des Menschen eine sittliche Ordnung zu begründen wagt, in ihnen, den christlichen Anschauungen entgegen, etwas schlechthin Gutes, gewissermassen den Finger Gottes zu erkennen glaubt? Die Ähnlichkeit der grotianischen und physiokratischen psychologischen Analyse der menschlichen Natur könnte dazu verführen,

in Quesnay und Mercier Nachfolger des berühmten Niederländers zu sehen. Aber bei genauerem Zusehen erscheint diese Meinung unbegründet. Grotius leitete das Naturrecht aus der uninteressierten Socialität ab, Quesnay aus den Bedürfnissen des interessierten Individuums. Wir fragen weiter: Was hat jene materielle Gesinnung erzeugt, die dem physiokratischen Naturrecht einen so unchristlichen Charakter verleiht? Woher stammt jene Ineinssetzung von Gerecht und Nützlich, die weder dem epikureischen noch stoischen Naturrecht eigen ist? Denn für die Epikureer ist das Gerechte nur eine Art des Nützlichen, wie es ja auch bei Gassendi und Hobbes der Fall ist; die Stoiker aber haben die Unabhängigkeit des Gerechten vom Nützlichen stark betont; man erinnere sich in neuerer Zeit des grotianischen Naturrechts! Wir sehen ja deutlich, dafs Quesnays Identifikation auf einer metaphysischen Annahme ruht: dafs die Weltordnung vollkommen und das Glück und zwar das materielle Glück des Menschen ein Zweck des Schöpfers sei. Damit werden wir aber zu einer neuen Frage gedrängt: ist dieser Optimismus eine Meinung, welche Quesnay zuerst aufgestellt hat, oder läfst sie sich schon früher nachweisen? Aufserdem beschäftigt uns die prästabilierte Harmonie, welche Smith zwischen dem Nützlichen und den Trieben des Menschen aufstellt, so dafs die Vermittlung der Vernunft überflüssig ist.

Wo sollen wir die Antwort auf diese Fragen finden? Wir erinnern uns, dafs das von Pufendorf geschaffene System des natürlichen Rechts ein so weiter Rahmen wurde, dafs es die vornehmsten Geisteswissenschaften der neueren Zeit, wenigstens in ihren Grundlagen, in sich zu schliefsen vermochte: neben dem Naturrechte die natürliche Theologie und die philosophische Ethik. Sehen wir, ob uns diese Wissenschaften in der Erkenntnis fördern werden!

Fünftes Kapitel.

Die moderne Ethik und der Deismus.

Erster Abschnitt.

Die moderne Ethik.

I.

Die vorbereitende Periode.

Es wurde erwähnt, dafs Humanismus und Reformation auch die Keime neuer ethischen Anschauungen enthielten. Aber zunächst sucht man das Neue mit dem Alten zu vereinigen. Die italienischen Humanisten, welche sich zur Stoa bekennen, wollen deshalb nicht weniger Christen sein.

Nur langsam erkennt man den unlösbaren Widerspruch zwischen christlicher und heidnischer Anschauung. Aber schon im 16. und im Anfang des 17. Jahrhunderts gehen von Frankreich Bestrebungen aus, die Ethik von der Religion zu lösen. Die Erklärung für diesen folgenschweren Wandel liegt in äufseren Verhältnissen.

Der Anblick der entsetzlichen Handlungen, welche während der Bürgerkriege aus religiösem Eifer verübt worden waren, die Abneigung gegen den niedrigen Charakter religiöser Sittlichkeit, die oft genug aus der selbstsüchtigen Hoffnung auf himmlischen Lohn und der Furcht vor Höllenstrafen entsprang, drängte den Geistern die Frage auf, ob es möglich sei, der Sittlichkeit ein Fundament aufserhalb der Religion zu geben. Da fällt der Blick auf die antike Philosophie, deren Systeme man nun wieder ziemlich vollständig überblicken kann. In dem lebendigen Drängen nach ihrer Wiedererneuerung, welche die Geister in Platoniker, Aristoteliker und Stoiker scheidet, knüpft Montaigne an die Skepsis des Altertums, aber auch an den Epikureismus an. In

seinen 1588 erschienenen Essais spricht er die Überzeugung aus, dafs sich das Sittliche auf die menschliche Natur begründen lasse; er verlegt es nicht in die Handlung, sondern in die Gesinnung: der Zweck der Tugend sei die Lust. Charron meint in seinem Werke De la Sagesse", welches anfangs des 17. Jahrhunderts veröffentlicht wurde, das Sittliche liefse sich ebensowohl aus der allgemeinen Weltordnung, wie aus der persönlichen Wohlfahrt des Individuums herleiten. Es sind das Gedanken, welche in der späteren Ethik eine breite Entwicklung gefunden haben. Zu gleicher Zeit mit Charron tritt Francis Bacon in England für die Begründung einer philosophischen Ethik ein. Er hat wie die Franzosen den Spätern fast nur Anreguugen gegeben; aber diese führten die Moralphilosophie auf ganz neue Bahnen; sie betrafen nämlich die Methode; auch die Ethik soll eine Erfahrungswissenschaft werden. Aus diesem Grunde betont er die Notwendigkeit des Studiums der menschlichen Natur, ihrer Affekte und Triebe, des Einflusses der Gewohnheit und Erziehung. Doch ist nicht seiner Methode der nächste Fortschritt in der Ethik zu verdanken, sie wurde auch nicht gleich angewandt.

Ebensowenig ging der von den französischen Denkern ausgestreute Samen bald auf. Ja, in Frankreich musste der Kampf für die Begründung einer selbständigen philosophischen Ethik noch einmal um die Wende des 17. Jahrhunderts geführt werden. Nach dem philosophischen Aufschwung, welcher mit den Namen Gassendi und Descartes verknüpft ist, war das französische Geistesleben unter Ludwig XIV. wieder in den Bann theologischer Vorstellungen zurückgesunken; davon zeugen nicht nur die von den Jesuiten gepflegte Scholastik, sondern auch der von Schülern und Freunden fortgebildete Cartesianismus Malebranches und endlich der Skepticismus Pascals und anderer, die, an der Kraft der Vernunft verzweifelnd, sich um so inbrünstiger dem Offenbarungsglauben zuwandten. Ja, einige der Ideen, welche die Gemüter im Reformationszeitalter in allen Tiefen erregt haben, erwachen mit ungeahnter Kraft und rufen von neuem starke Bewegungen unter den französischen Gelehrten und Gebildeten hervor ich meine den Mysticismus Fénelons und die Wiederbelebung des Augustinismus durch Jansen, dessen Lehre von Portroyal die eifrigste Verbreitung fand. Da auch Malebranche auf Augustinus zurückgegangen war1, so charakterisierte die geistige Atmosphäre Frankreichs um diese Zeit ein starker Duft von ethischem Pessimismus.

Der Schauplatz des erneuten Angriffs ist nicht Frankreich selbst, sondern es sind die Niederlande, dieselben Niederlande, wo die französischen Philologen und die reformierten Prediger freundlich aufgenommen worden waren, wo Descartes seine Philosophie gereift hatte, wo von Spinoza die Cartesianischen Grund

1 Jodl, p. 262.

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