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Widersprüche über ihr gegenseitiges Verhältnis verwickelte, selbst die,,Vernunft des Staates" voranstellte, hielten sich seine Gegner an die Lehre, dafs die Staatsgewalt darüber entscheide, was sittlich und was unsittlich sei, und übersahen, was er über das naturgesetzlich Sittliche gelehrt hatte.

In die vorhergehende Darstellung sind auch schon die Ansätze zu einer Ethik mit verwoben worden, weil ihrer im folgenden noch gedacht werden muss und sie, aus dem Zusammenhang des Ganzen gerissen, nicht so verständlich sind.

Hören wir schliesslich das Urteil des gründlichsten Forschers auf dem Gebiete des Naturrechtes über die Doktrinen des Thomas Hobbes. Er, sagt Gierke, habe es zuerst versucht, auf dem Boden und mit dem Rüstzeug des Naturrechtes selber das Naturrecht zu sprengen. Denn er setzte das vorstaatliche Recht des Naturzustandes zu einem „Jus inutile" herab, das in Wahrheit nicht einmal den Keim eines Rechtes enthielt; er liefs im Staat, durch dessen Befehl und Zwang erst Recht entstehen sollte, jedes nicht von ihm selbst erzeugte Recht vollkommen untergehen; er verwarf schlechthin jeden Gedanken einer rechtlichen Gebundenheit der über die Begriffe Recht und Unrecht souverän entscheidenden Staatsgewalt 1. So kann die Frage erhoben werden, ob Hobbes in eine Darstellung der Entwicklung des Naturrechtes gehöre. Selbst wenn wir nicht wüfsten, dafs die beiden einander widersprechenden Auffassungen vom Naturrecht, welche wir als die stoische und epikureische bezeichnet haben, sich immer wieder durchkreuzt haben, würde es notwendig sein, Hobbes eingehend zu betrachten, weil er das Naturrecht und die Ethik der folgenden Zeit so stark beeinflusst hat. Ich denke dabei im Umkreise des Naturrechtes nicht an Spinoza, welcher die psychologischen und sociologischen Grundanschauungen mit ihm teilt, aber zu einer verschiedenen Staatslehre gelangt, sondern an Pufendorf, den Mann, welcher aus den disjecta membra ein System geschaffen hat, den Zeitgenossen aufgeklärter, absoluter Fürsten, denen er auch in seinem Leben nahe steht und deren Mission er mit seinem System unterstützt.

4. Pufendorf.

Die grofsen Verdienste, welche sich Pufendorf um das Naturrecht erworben hat, bestehen, soweit ich das beurteilen kann, in der völligen Befreiung der jungen Wissenschaft von der Theologie, was ihm bekanntlich schwere Kämpfe eintrug, in einer

1 Gierke, Althusius p. 300.

meisterhaften Systematik, die sich im wesentlichen bei seinen Nachfolgern erhalten hat, in der so schwierigen und mühevollen Ausfüllung des wissenschaftlichen Gerüstes mit einem wertvollen Inhalte und endlich in seiner klaren, lichtvollen Darstellung.

Dagegen scheint mir die philosophische Grundlegung, welche er dem Naturrechte gegeben hat, nicht so bewundernswert. Ich glaube, dafs er in drei Irrtümern befangen ist. Erstens stellt er sich formell auf den Boden der Socialitätstheorie. Aus ihr läfst sich aber das Naturrecht in dem Sinne eines ewigen, unveränderlichen, vor und über allem positiven Rechte bestehenden Naturrechtes nicht herleiten, wie schon bei Grotius angedeutet wurde, sondern nur aus der Annahme eines höchsten, weisen und gerechten Wesens, welches entweder das Weltall durchdringt oder das Weltall und die Menschen, diese nach seinem Ebenbild erschaffen hat. Zweitens glaubt Pufendorf sich der Lehre der Stoiker zu nähern, wie erinnerlich sein wird, obgleich die Stoiker das Recht nicht aus der Gemeinschaft hergeleitet haben. Drittens ist seine Socialitätstheorie weder die stoische, noch die grotianische, sondern eine sonderbare Ausgestaltung der Hobbesschen 1.

Die selbstsüchtigen und furchtsamen Urmenschen Pufendorfs haben dasselbe Bedürfnis nach Gemeinschaft wie diejenigen des Philosophen von Malmesbury; hüben und drüben ist das Princip des Naturrechtes ein interessierter Geselligkeitstrieb, so wenig die Menschen von Natur für die Geselligkeit geschaffen sind. Nachdem sich Pufendorf zu den psychologischen Anschauungen des Engländers bekannt hat, sollte man nun auch erwarten, dafs er weiter auf den Bahnen seines Vorgängers fortschreiten würde. Aber mit einem kühnen Salto mortale springt er formell zu Grotius hinüber. Da Wohl und Wehe der Menschen von ihrer „Sociabilität“ abhängt, so sollen sie das Wohl der Gesellschaft im allgemeinen mit allen ihren Kräften zu erhalten und zu fördern suchen. Dies nennt Pufendorf das Grundgesetz des Naturrechtes, und die Gesetze dieser Sociabilität bezeichnet er als Naturgesetze.

Ich weifs nicht, ob Warnkönig mit seiner Behauptung recht hat, Pufendorf wolle Grotius mit Hobbes versöhnen. Im übrigen ist seine Kritik meines Erachtens durchaus zutreffend. Vor allem seine Bemerkung, dafs das gesamte Naturrecht Pufendorfs dahin geht, zu zeigen, was infolge jenes officium recht sein soll. Seine Doktrin nimmt durchaus den Charakter einer Moraltheorie an, d. h. den einer für die geselligen Verhältnisse berechneten

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1 Ähnlich urteilt Raumer: „Sein Geselligkeitsgrundsatz führt zwar auf milderem Weg zu dem Gebote: suche den Frieden! aber er lautet doch ebenso wie bei Hobbes, und der Eigennutz hat zuletzt nur ein schönes Kleid übergehangen." Raumer: Über die geschichtliche Entwicklung der Begriffe von Recht, Staat und Politik. 1832.

p. 49.

Pflichtenlehre, die also nicht zeigt, was infolge der Gesetzgebung der menschlichen Vernunft wirklich Rechtens ist, sondern was es sein soll. Seine Raisonnements sind fast stets teleologischer Art, wie die der Verteidiger des Nützlichkeitssystems" 1.

In dieser den Gegensatz des wahren und des Pufendorfschen Naturrechtes scharf hervorhebenden Kritik ist nur der letzte Satz überflüssig. Denn wie wäre es möglich, dafs Pufendorf, der im Gefolge von Hobbes wandelt, andere als Nützlichkeitserwägungen anstellen könnte? Pufendorf hat diesen schwachen Punkt seines Systems wohl gefühlt. Obgleich, führt er aus, die Befolgung der Naturgesetze von offenbarem Nutzen sei, so hätten sie doch erst Gesetzeskraft, wenn man voraussetze, dafs es einen Gott gebe, der den Menschen die Befolgung dieser Gesetze vorgeschrieben habe. Dies sucht er zu zeigen. Dafs aber dadurch der Charakter seines Naturrechtes nicht verändert wird, ist wohl klar. Aus dem unsichern Charakter der philosophischen Grundlegung, die zwischen Stoicismus und Epikureismus schwankt, und aus dem Bedürfnisse der Zeit nach einer starken monarchischen Gewalt erklärt es sich, dafs Pufendorf im Gegensatz zu dem konsequenteren Hobbes für den Rechtscharakter des Naturrechts eintritt und lehrt, dafs es im Naturzustande gegolten habe, aber andererseits, was die Fortdauer des ursprünglichen natürlichen Rechtes der Individuen im Staate betrifft, sich trotz einzelner Schwankungen für Hobbes entscheidet. Die Sklaverei übernimmt er in sein System, wenn er auch dem Herrn einschärft, nicht zu vergessen, dass der Sklave ebensowohl ein Mensch sei, wie er selbst. Von dem Augenblick des Eintritts in die bürgerliche Gesellschaft begeben sich die Menschen nach Pufendorf der natürlichen Freiheit und Gleichheit. Der Souverän ist von den Gesetzen gelöst, die er selbst giebt. Gegen die Launen, Härten und Grausamkeiten des Herrschers kennt Pufendorf nur geduldiges Ertragen oder die Flucht. Aber er tritt für eine humane Behandlung der Bürger und dafür ein, dafs der Souverän dem Naturrecht Gesetzeskraft gebe.

Auch die Thatsache, dafs Pufendorf die Socialität zum Princip des Naturrechts machte, verhinderte ihn, die volle Freiheit der Individuen zu fordern.

Zum Schlusse haben wir noch zwei Bemerkungen zu machen, die sich nicht auf das Wesen des Naturrechtes beziehen, sondern auf den Inhalt und die Methode, welche Pufendorf dem Naturrecht gab. Sein System ist die Darstellung einer universellen Pflichtenlehre, soweit sie durch die Vernunft erkennbar sind: der Pflichten der Menschen gegen Gott, sich selbst und die übrigen Menschen. So wird der Rahmen des Naturrechtes soweit gespannt, dafs es umfasst: 1. das Naturrecht im engeren Sinne, 2. einen Teil der Ethik, 3. das System der natürlichen Religion. Dadurch

1 Warnkönig, Rechtsphilosophie, p. 50.

wird das Naturrecht auch in eine äufsere Verbindung mit dem Deismus gebracht, welchem es innerlich verwandt ist; dies wird in einem folgenden Abschnitte eine eingehende Darstellung erfahren. Was nun die beiden übrigen Bestandteile betrifft, so ist es wichtig, folgendes hervorzuheben. Wenn Pufendorf auch die Ethik des Naturrechtes fast ausschliesslich auf die äufseren Handlungen des Menschen beschränkte, so war doch die Möglichkeit gegeben, die Moralphilosophie im Rahmen des Naturrechts auszudehnen. Diese Disciplinen blieben innerlich verwandt, auch nachdem man angefangen hatte, die Lehren von Recht und Sittlichkeit äufserlich schärfer zu trennen, was in Deutschland Thomasius, in England wahrscheinlich Adam Smith that. Beiden Wissenschaften blieb eine gemeinschaftliche psychologische Grundlage, beide hatten dasselbe Organ der Erkenntnis für das, was Recht und Sittlichkeit sein sollte. Wie verschieden ist das Naturrecht Hutchesons, Wolffs von demjenigen Pufendorfs, da sie andere Grundlagen wählten!

Was die Methode des Naturrechts betrifft, so wandte Pufendorf bekanntlich auf Anrathen seines Lehrers Weigel und auf Wunsch von Boyneburg's die mathematische Methode auf die junge Wissenschaft an. Doch sind diese Männer nicht die ersten Verfechter der mathematischen Methode; schon Hemming war für sie eingetreten1.

An dieser Stelle beschränke ich mich auf die vorstehenden Ausführungen, da ich in einem anderen Zusammenhange noch darauf zurückkommen werde.

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Durch Pufendorf verbreitete sich das Naturrecht über ganz Europa. In Deutschland sind ihm unter anderen Thomasius und Wolff gefolgt. In England bearbeitete es Hutcheson in seinen berühmten Institutes of Moral Philosophy". In der That ist die schottische Moralphilosophie der Hutcheson, Smith, Ferguson nichts anderes als das weiter entwickelte System des Pufendorfschen Naturrechtes. Es fafste festen Fufs in Frankreich, wo ihm ja schon von den grofsen Juristen so erfolgreich vorgearbeitet worden war und von wo das epikureische Naturrecht die kräftigste Verbreitung gefunden hatte. Barbeyrac übersetzte die Werke Pufendorfs ins Französische. Lehrbücher nach Pufendorfs System, jedoch schon unter dem Einfluss der Wolffschen Philosophie", verfafsten Burlamaqui, de Felice, beide 1750 gestorben, und Vicat, gestorben 1770. In der grofsen Encyklopädie

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1 Kaltenborn, Abteilung II, p. 30. . . . Considerare principia, ac veluti elementa axiomatum moralis philosophiae, ex quibus hypotheses innumerare, adhibita philosophica apodixi, in legibus politicis et oeconomicis extruuntur: observare syntheses et analyses demonstrationum: perspicere, qua via omnia jura et omnes leges ad suos fontes revocare possint videbunt (sc. jurisprudentiae ac ethicae studiosi) non minus legis naturae conclusiones destitui evidentibus demonstrationibus, quam artem Euclidis."

wurden die naturrechtlichen Theorieen in dem Artikel Droit naturel“ verkündet1.

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Ein ebenso grofses Ansehen genofs dann später Wolffs Philosophie im Auslande, was ja auch Warnkönigs Worte zum Teil beweisen. „Die Akademieen in Paris und London ernannten Wolff zu ihrem Ehrenmitgliede es war ein bis dahin unerhörtes Ereignis, dafs die wissenschaftlichen Werke eines Deutschen fast in alle lebenden Sprachen übersetzt wurden. In Frankreich vermittelten das Journal des Savants, die Histoire littéraire de l'Europe und das Journal de Trévoux zahlreiche Auszüge; Voltaire und Madame du Châtelet, die bekannte Freundin Voltaires, welche Newton in Frankreich eingeführt hatten, studierten auf Veranlassung des Kronprinzen von Preufsen eine zeitlang Wolff so eifrig, dafs sich dieser mit der allerdings trügerischen Hoffnung trug, es werde ihm gelingen, durch Hilfe derselben in Frankreich dem englischen Einfluss den Rang abzulaufen 2.

1 Warnkönig, Rechtsphilosophie p. 53.

2 Hettner, Literaturgesch. des 18. Jahrh., 1862, III, 1 p. 240.

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