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1.

Hugo Grotius.

Wir übergehen die Vorgänger des Hugo Grotius auf dem Gebiete des Naturrechtes und Völkerrechtes, da es uns nur auf die Hervorhebung des Wichtigsten ankommt. Das berühmte Werk „Über das Recht des Krieges und Friedens", welchem Grotius eine naturrechtliche Erörterung voranschickt, spiegelt die Zeit, die Bildung und den Charakter des Verfassers wieder. Holland, von äussern Feinden bekämpft, von politischen und religiösen Parteien innerlich zerrissen, hierin den allgemeinen Zustand der Zeit widerspiegelnd, in seinem völlig freien Handel, der Grundlage seiner materiellen Blüte, bedroht, bedarf äufseren und inneren Frieden, Handelsfreiheit und ein Recht, welches für Katholiken und Protestanten, Lutheraner und Reformierte, Christen und Atheisten bindend ist. Auf dieses Land ist infolge der französischen Bürgerkriege, insbesondere der Berufung Scaligers an die Universität Leyden, der Primat der Philologie übergegangen. Die humanistischen Studien stehen in hoher Blüte. Ein wohlwollender, edler Mann, von Beruf Jurist und mit der römischen Rechtswissenschaft vertraut, der Sohn des Kurators der Leydener Universität, ein Schüler Scaligers und des Justus Lipsius, selbst ein gründlicher Kenner der klassischen Litteratur, entnimmt Grotius aus den Schriften der griechischen und römischen Philosophen die Grund- und Ecksteine der neuen Wissenschaft1. Auch seine Ausführungen sucht er mit Citaten aus den Schriftstellern des klassischen Altertums zu stützen, sein Werk strotzt in unangenehmer Weise von klassischer Gelehrsamkeit.

Grotius nimmt drei Arten von Recht an: das Naturrecht 2, das göttliche Recht und das bürgerliche Recht. Quelle des ersteren ist die,,der menschlichen Vernunft entsprechende Sorge für die Gemeinschaft" 3. Der Mensch habe nämlich den Trieb,,zu einer ruhigen und nach dem Mafs seiner Einsicht geordneten Gemeinchaft mit seinesgleichen, welche die Stoiker Oixelwor nannten" 4. Dieser Trieb wirke unabhängig von der Rücksicht auf den Nutzen. Dies ersehe man daraus, dafs die Tiere ihre Sorge für sich selbst im Hinblick auf ihre Jungen mäfsigten und bei Kindern früh Mitleid und die Neigung wohlzuthun hervorträten. Ist nun nach Grotius dieser Trieb nach einer uninteressierten Gemeinschaft bei allen lebenden Wesen zu finden,

1 Die Behauptung des Grotius, er habe auf die Streitfragen seiner Zeit keine Rücksicht genommen (Einleitung 58), widerlegt meine Ansicht nicht, dafs er durch die Streitfragen angeregt wurde.

2 Ich erwähne das jus naturale laxius nicht, da es mir nur auf die klare und deutliche Hervorhebung des Wesentlichen ankommt.

Einleitung 8. Die wörtlichen Anführungen nach der Übersetzung von Kirchmann. 1882.

4 Einl. 6.

Forschungen (43) X 2. Hasbach.

3

so verbindet sich bei dem Menschen, wenn er in das reifere Alter getreten ist, mit diesem ,,starken, geselligen Trieb, für den er allein vor allen Geschöpfen das besondere Mittel der Sprache besitzt, auch die Fähigkeit, allgemeine Regeln zu fassen, welche auf die Verwirklichung dieser Gemeinschaft hinzielen, und danach zu handeln. Was hiermit übereinstimmt, das ist schon nicht mehr allen Geschöpfen gemeinsam, sondern der menschlichen Natur eigentümlich"1. Wie man sieht, nimmt Grotius, wie die römischen Juristen, ein engeres und ein weiteres Naturrecht an.

Dem so aus dem uninteressierten Triebe nach Geselligkeit und der menschlichen Vernunft entstammenden Rechte gehören folgende Sätze an: 1. dafs man sich des fremden Gutes enthalte und das Genommene zurückgebe, 2. dafs man den durch eigene Schuld veranlafsten Schaden ersetze, 3. dafs das Unrecht durch die Strafe wiedervergolten werde und 4. die Verbindlichkeit, gegebene Versprechen zu erfüllen.

Um das Naturrechtliche scharf von dem Nützlichen zu unterscheiden, sagt er ausdrücklich, dafs uns unsere Natur zu Gemeinschaft treiben würde, auch wenn wir keine Bedürfnisse hätten 2; um die Hoheit des Vernunftrechtes hervorzuheben, es sei so unveränderlich, dafs Gott es nicht verändern könne 3. Aber Grotius hat zu lange in der Schule der Stoiker verweilt, um die Verbindung des Naturrechtes mit Gott zu lösen. So behauptet er denn:,,Aber selbst das obenerwähnte Naturrecht, sowohl das sellschaftliche, wie das im weiteren Sinn so genannte, mufs, obgleich es aus den inneren Principien des Menschen abfliefst, doch in Wahrheit Gott zugeschrieben werden, weil er ja gewollt hat, dafs solche Principien bestehen. In diesem Sinne sagten die Stoiker und Chrysipp (ebenfalls Stoiker), dafs man den Ursprung des Rechtes nur bei Jupiter suchen müsse, und wahrscheinlich hat bei den Lateinern das Recht (jus) seinen Namen von dem Jupiter (Jovis) erhalten" 4.

Gott, mittelbar die Quelle des Naturrechtes, ist unmittelbar die Quelle des göttlichen Rechtes, welches auf seinem direkt ausgesprochenen Willen beruht.

Haben nun also Naturrecht und göttliches Recht ihren Berührungspunkt in dem höchsten Gesetzgeber, so fehlt auch die Verbindung zwischen Naturrecht und bürgerlichem Recht nicht. Nach Grotius gehört es ja zum Naturrecht, dafs man gegebene Versprechen erfülle. Hieran knüpft er das positive Recht an. ,Weil es natürlichen Rechtes ist, die Verträge zu halten (denn irgend ein Weg, sich zu verpflichten, war für die Menschen

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notwendig, und ein natürlicherer, als der Vertrag, lässt sich nicht auffinden), so ist aus dieser Quelle das bürgerliche Recht entstanden. Denn die, welche sich einer Gemeinschaft anschliefsen und einem oder mehreren unterwerfen, versprechen entweder ausdrücklich oder stillschweigend, wie man nach der Natur der Sache annehmen mufs, dafs sie dasjenige befolgen würden, was entweder die Mehrheit der Genossenschaft oder die, welchen die Macht übertragen war, festgesetzt hätten". Jene erwähnte Vergesellschaftung oder Unterwerfung hat aus irgend einem Nutzen ihren Anfang genommen"2. Im ersten Buche befindet sich nun eine Definition, welche alles berücksichtigt, was wir bis jetzt besprochen haben. ,,Das natürliche Recht ist ein Gebot der Vernunft, welches anzeigt, dafs einer Handlung wegen ihrer Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung mit der vernünftigen Natur selbst eine moralische Hässlichkeit oder eine moralische Notwendigkeit innewohne, weshalb Gott, als der Schöpfer der Natur, eine solche Handlung entweder geboten oder verboten habe"8.

Aus diesen Grundzügen wird man ersehen, dafs das Grotianische Naturrecht sich sehr stark an die stoischen Grundanschauungen anlehnt. In allen Werken über die Geschichte des Naturrechts wird behauptet, dafs er die Socialitätstheorie dem Aristoteles entnommen habe. Er selbst beruft sich auf die oixeiwors der Stoiker, die doch auch diesen Teil der Ethik unendlich gründlicher erörtert haben als Aristoteles. Wo er das Naturrecht auf Gott zurückführt, citiert er die Stoiker. Wo er im zweiten Kapitel des ersten Buches die menschlichen Triebe bespricht, hält er sich an Cicero, und er bemerkt, dafs dieser seine Lehre aus den Büchern der Stoiker genommen habe. Augenscheinlich ist die Socialität bei Grotius in eine Stellung gerückt, die sie bei den Stoikern nicht besitzt. Er leitet aus dem Princip der Geselligkeit den Begriff des Rechtes ab, er kehrt in gewissem Sinne die stoische Anschauung um. Wahrscheinlich hat er gerade dadurch dem Naturrecht eine festere Basis zu geben gesucht; denn die gesellige Natur des Menschen kann erwiesen werden, nicht aber das Dasein der feurigen Vernunft 5). Vielleicht wurde er auch durch religiöse Bedenken davon abgehalten, sich zu der panthei

1 Einl. 15.

2 Einl. 16.

3 Buch I, Kap. I. X. 1.

4 Buch I, Kap. II, 1. Jene falsche Meinung ist wahrscheinlich durch Grotius' Hervorhebung der Bedeutung des Aristoteles entstanden (Einl. 42). Er sagt aber auch, er wolle das Gute nehmen, wo er es finde wie die alten Christen.

5 Vergleiche über Grotius' Methode B. I, Kap. I. XII, 1. Es gebe einen doppelten Beweis für die Existenz naturrechtlicher Bestimmungen: der direkte (Nachweis, dafs etwas notwendig mit der vernünftigen Natur und Gesellschaft übereinstimme) sei scharfsinniger; der indirekte sei die Übereinstimmung der Völker.

stischen Grundlage des stoischen Naturrechts zu bekennen. Aber das Naturrecht verliert andererseits den Charakter einer unbedingten Hoheit, und so mufs es nachträglich doch wieder in Verbindung mit Gott gesetzt werden. Gott ist dann aber auch das höchste Princip des Naturrechts, nicht die Socialität.

Sehen wir schliefslich, welches Verhältnis Grotius zwischen Naturrecht und bürgerlichem Recht annimmt. Er sagt:,,Das bürgerliche Recht kann gar nichts gebieten, was das Naturrecht verbietet, oder verbieten, was dieses gebietet; aber es kann die natürliche Freiheit beschränken und das naturrechtlich Erlaubte verbieten und selbst den natürlichen Erwerbsarten des Eigentums durch seine Kraft entgegentreten1.

2.

Gassendi.

Ein Jahr vor dem Werke des Grotius war die erste Schrift Gassendis über Epikur vollendet worden, der in den vierziger Jahren des 17. Jahrhunderts noch zwei andere folgten. Hierdurch feierte der Epikureismus seine volle Wiederauferstehung. Nicht als ob er vorher nicht bekannt gewesen wäre, es wurde schon verschiedenemale erwähnt, wie er im stillen stets fortlebte und hier und da an die Öffentlichkeit trat. Durch Gassendi werden nun auch die epikureischen Lehren von Recht und Staat wieder allgemeiner bekannt.

Bei Grotius sind einige Bestandteile des Epikureismus in der früher angedeuteten Weise in sein System verwoben. Auch er nimmt einen Zustand des Unfriedens unter dem Menschengeschlechte an; aber im Anfang herrschte Friede und Eintracht, und alles war gemeinsam. Den Übergang aus diesem in jenen hat die biblische und klassische Gelehrsamkeit des Verfassers in eine eigentümliche Beleuchtung gerückt. Wir sehen auch bei Grotius den Staatsvertrag mehr beiläufig angedeutet. Den Staat definiert er folgendermalsen:,,Der Staat ist eine vollkommene Verbindung freier Menschen, welche sich des Rechtsschutzes und des Nutzens wegen zusammengethan haben". Diese Lehre konnte ihm durch die mittelalterlichen Schriftsteller und ihre Fortsetzer, die katholischen Autoren über das Naturrecht überkommen sein. Dagegen reproduziert Gassendi einfach die epikureische Lehre, und bei ihm erscheint sie mit allen ihren sociologischen und ethischen Voraussetzungen, welche den grotianischen schnurstracks widersprechen.

Im Anfang irrten die Menschen gleich Tieren umher; dann wurden sie durch ,,quelque naturelle inclination" veranlasst, zu

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Horden zusammenzutreten. Aber da nun immer „querelles sur le boire et sur le manger et sur les femmes et sur les autres commoditez qu'ils se prenaient et se dérobaient l'un à l'autre" entstanden, beschlossen sie einen Vertrag folgenden Inhaltes einzugehen. Es sollte in Zukunft niemand den andern verletzen; wer sich aber einer Schädigung schuldig mache, den sollten die andern bestrafen. Dazu war eine Gewalt nötig, und diese übertrug man auf einige,,Sages" oder auf einen. Nun wurde es möglich, Eigentum zu haben, der Mord ward zu einem Verbrechen gestempelt, Gerechte und Ungerechte wurden unterschieden, je nachdem sie den Kontrakt beobachteten oder nicht. Die einen handelten aus Einsicht, die andern aus Furcht.

Hier sind alle Züge der epikureischen Lehre. Das Recht hat seine Wurzel nicht in der sittlichen Natur des Menschen, die ihm vorschreibt: Das sollst du thun, das nicht, sondern in dem Selbsterhaltungstriebe, in den Bedürfnissen des Einzelnen; das Recht ist eine Art des Nützlichen. ,Epicure," sagt Gassendi, „a tiré toute l'origine du Droit. ... de l'Utilité." Es entsteht mit der menschlichen Gesellschaft, aufserhalb derselben giebt es kein Recht. Zwischen Völkern, die keinen Vertrag miteinander abschliefsen konnten oder wollten, existiert ebenfalls kein Recht. Ein Völkerrecht ist ein Unding. Unser Schriftsteller sucht mit dem Aufwande grofser Gelehrsamkeit seine Ansicht zu vertreten und polemisiert gegen die Lehre vom goldenen Zeitalter. Die Sagen von Orpheus und Amphion zeigten doch auch, dafs die Völker ursprünglich ein umherschweifendes Leben geführt hätten und Sitte und Recht erst mit der Gründung des Staates entstanden wären. Auch Aristoteles habe gelehrt:,,La société civile semble avoir commencé et subsiste encore présentement par l'utilité." Er weist darauf hin, dafs wir in der Heiligen Schrift stets von Verträgen lesen 2. Gassendi zeigt auch dieselbe Vor

1 Bernier, Abrégé de la Philosophie de Gassendi. 2. A. Lyon 1684. Tome VII, p. 512 u. ffg. Le droit et le Juste . semblent être quelque chose d'aussi ancien entre les hommes que leurs mutuelles Societez sont anciennes. Car le Juste ou le Droit, dont l'observation se nomme Justice, n'est que dans une Societé mutuelle, d'où vient que la Justice est un lien de societé entant que chacun des Associez peut vivre en seureté et exempt de l'inquiétude continuelle qu'on ne l'attaque Über die Entstehung des Eigentums heifst es, jener Vertrag sei „le premier noeud de la societé" gewesen il supposa qu'un particulier pouvoit avoir quelque chose en propre ou qu'il peust dire estre sien (soit pour l'avoir usurpé le premier, soit pour lui avoir esté donné, soit pour l'avoir eu en échange, soit pour l'avoir acquis par sa propre industrie). Hier erscheint die Arbeitstheorie Lockes und der Physiokraten nur beiläufig und im Keim.

2 Il n'y a rien de plus ordinaire parmy les Sacrez Docteurs que d'entendre dire que l'une et l'autre Loy, tant l'Ancienne que la Nouvelle, est une Alliance, un Pacte; et il n'est rien de plus frequent dans les Saintes Ecritures que de lire que Dieu fait des Pactes, comme avec Noé, avec Abraham, avec Jacob etc. a. a. O. p. 525.

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