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eines Luther und Zwingli gewesen ist. Dazu kam, dafs das Naturrecht, wie es von den Alten geschaffen worden war, durch die Lehren der Reformatoren eine Bestätigung und Heiligung erfuhr. Der Inhalt des alten und neuen Testamentes wurde ja jetzt allgemeiner bekannt, der ethische Pessimismus Augustins lebte wieder auf. Die genauere Ausführung dieses merkwürdigen Einflusses erfordert leider die Wiederholung oder genauere Ausführung einiger Erörterungen des vorigen Kapitels.

Erstens wurde die stoische Vorstellung vom goldenen Zeitalter, während dessen nur das Naturrecht galt, durch die jüdische Lehre vom Paradiese bekräftigt, in welchem die ersten Menschen nur dem unmittelbaren Gebote Gottes unterworfen waren. Wie nach den Stoikern der Zeiten Verderbnis zum positiven Gesetze führte, so die Sünde zur Vertreibung des Menschen aus dem Paradiese, zum positiven Gesetze und zum Staate1. Und es ist jedenfalls bemerkenswert, dafs die stoische Abwendung von den politischen Zuständen, die sie umgeben, auf den Idealzustand des goldenen Zeitalters hin, wo das Naturgesetz herrschte, sein Seitenstück in den englischen Levellers findet. Die Levellers", sagt Ranke, wollen sich selbst nicht auf die heilige Schrift verweisen lassen, die von den Zuständen nach dem Falle handle, sondern sie bestehen auf dem Wort Gottes, das im Herzen des Menschen lebt, durch welches er sowohl wie das Gesetz der Schöpfung gemacht ist, ein Gesetz, zu welchem diese zurückgebracht werden mufs" 2.

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Zweitens verstärkte die reformatorische Lehre von der Bosheit und der harten Selbstsucht der menschlichen Natur, welche sich bei Luther so schlecht mit seiner Heiligung des natürlichen Menschen verträgt und Calvins logischen Geist unbeabsichtigt zum Beweis der Unvereinbarkeit der christlichen Lehre von Gott und dem Menschen führte ich sage, diese reformatorische

1 Am deutlichsten sieht man den Einschlag der christlichen Ideen bei Thomasius. „Die Streitfrage, ob das Naturrecht auf den Stand der Unschuld zu gründen sei, oder nur dem verderbten Stande nach dem Falle angehöre, beschäftigt ihn ganz ernstlich... Er schildert den Stand des Paradieses als einen vollkommenen mit Liebe; aber er bestreitet, dafs es in demselben einen Staat gegeben habe; denn der Staat ist nicht ohne zwingende Gewalt, und die unschuldigen und friedfertigen Menschen bedurften keines Zwanges Erst nach dem Falle, als sie von Gott getrennt waren und die Furcht vor Gewaltthat die Menschen ängstigte, ward der Staat ein Bedürfnis. Der Verstand ist dem Menschen auch

nach dem Falle so vollkommen geblieben, dafs er die gemeinen Regeln, zumal die natürlichen, erkennen kann. Das natürliche Gesetz wird also von der gesunden Vernunft begriffen, es ist in notwendiger Ubereinstimmung mit der Natur des Menschen, wie Gott sie gewollt und geschaffen hat." Bluntschli a. a. O. p. 231.

2 Ranke, Englische Geschichte. 4. Bd. 2. Aufl., in den Sämmtl. W. 17. Bd. Leipzig 1870. p. 20.

Lehre verstärkte die Grundlage der epikureischen Ethik1, welche doch eine Lehre des wohlverstandenen Selbstinteresses ist. Hat aber die menschliche Natur diese Beschaffenheit, dann kann auch die materialistische Gesellschaftstheorie keinen Widerspruch erfahren. In den theologisch gefärbten „Drei Büchern der göttlichen Rechtsgelahrtheit" nimmt Thomasius ja an, dafs die Menschen aus Furcht vor Gewaltthat zum Staate gelangen. Dann kann auch die Vertragstheorie mit in das Lehrgebäude des Naturrechtes aufgenommen werden; thatsächlich haben Gläubige und Ungläubige sie gelehrt. Zudem unterstützte die heilige Schrift, die gerade jetzt allgemeiner bekannt wurde, die Vertragstheorie, da insbesondere im alten Testamente so viel von Verträgen zwischen Gott und den Menschen die Rede ist. Endlich mufs der Charakter des Staates darin gesucht werden, dafs er eine Sicherheitsanstalt ist.

Dafs die Ansicht von der natürlichen Schlechtigkeit der menschlichen Natur zu der letzteren Lehre führen muss, erkennt man deutlich bei Luther. An Herzog Johann von Sachsen schreibt er: Wenn alle Welt rechte Christen wären, so wäre kein Fürst, König, Herr, Schwert noch Recht nötig oder nütze. Denn wozu sollte es dienen? Der Gerechte thut von sich selbst alles und mehr, denn alle Rechte fordern 2." Daher liegt der Obrigkeit vor allem die Erhaltung des Friedens und der äufseren Gerechtigkeit ob, damit dadurch dem Christentum und geistlichen Regiment sozusagen der Boden geebnet, die Bahn freigemacht werde" 8. Ob der Zweck des Staates darin gesucht wird, dafs er die Menschen in ihrem friedlichen Erwerbe oder das Christentum und geistliche Regiment schützt, ändert an dem Charakter des Staates in der Theorie nichts. Diese Erörterungen bestimmen mich zu dem Glauben, dafs die christlichen Ideen in der Gestalt, welche ihnen die Reformatoren gaben, das Bindeglied zwischen den stoischen und epikureischen Lehren bildeten, weil sie sowohl den Unschuldszustand des Menschen in inniger Gemeinschaft mit Gott wie die nachfolgende Verderbnis der menschlichen Natur, die in einem unbegrenzten Egoismus besteht, umfassen. Die christlich reformatorischen Lehren verleihen dem Naturgesetze die unbedingte Hoheit, welche

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1 Pym sagte einmal in einer Parlamentsrede: „Wenn ihr das Gesetz hinwegnehmt, so gerathen alle Dinge in Verwirrung und jeder Mensch will sein eigner Gesetzgeber sein, was, bei dem verderbten Zustande der menschlichen Natur, notwendig die gröfste Ungebühr hervortreiben mufs. List, Neid, Gewinnsucht, Ehrgeiz wecken und geben dann Gesetze, und welcher Art, das kann jeder leicht einsehen." Lechler, dessen Werk über den englischen Deismus diese Stelle entnommen ist, bemerkt dazu: „Da haben wir unter puritanisch-orthodoxer Färbung die ganze Voraussetzung des natürlichen Kriegszustandes, der die Grundlage der Hobbes'schen Theorie bildet." p. 101.

2 Kaltenborn, a. a. O. p. 208.
3 Th. Ziegler, a. a. O. p. 451.

es bei den Stoikern besitzt; sie anerkennen die natürliche Schlechtigkeit des Menschen, den Staatsvertrag und Frieden und Sicherheit als alleinigen Zweck des Staates. Gerade diese Durchdringung des stoischen und epikureischen Naturrechtes, die sich ursprünglich feindlich gegenüberstehen, kennzeichnet das Naturrecht einiger der hervorragendsten Philosophen und Juristen. Nur dort, wo die antike Auffassung der menschlichen Natur oder die stoische Lehre die epikureisch - reformatorische überwindet, verschwindet der eine oder andere der genannten Züge.

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Damit ist, soviel ich sehen kann, die Darstellung des Einflusses der Reformation auf das Naturrecht erschöpft. Hervorragende Juristen sehen aber die Wirkung der Reformation noch in etwas viel Wichtigerem. „Der Grundsatz der religiösen Freiheit," meint Robert von Mohl, „mufste mit innerer Notwendigkeit sich ausdehnen auf das Gebiet der staatlichen Freiheit und schuf auch hier, verbunden mit der germanischen Anerkennung der Persönlichkeit, ein ganz neues Leben" 1. Noch deutlicher drückt sich Kaltenborn aus. Die nachfolgende Entwicklung der naturrechtlichen Disziplin ist eine konsequente Durchführung und Anwendung des evangelisch - protestantischen Grundsatzes von der religiösen Freiheit. Denn in das Gebiet des Rechtes und Staates erhoben, mufste dieser Grundsatz zur Anerkennung der politischen Freiheit, also zur Billigung und Errichtung eines Rechtssystems, einer Ordnung von Recht und Staat führen, worin in allen Stufen und Sphären des politischen Wesens die Persönlichkeit des Menschen, das Recht der Person ein wesentliches Fundament bildet" 2. Gegen diese Ansicht stofsen mir aber so viele Zweifel auf, dafs ich sie nicht annehmen kann. Sie lassen sich aber nur in einer Darstellung, welche weit über den Rahmen dieser Schrift hinausgeht, genügend begründen.

Ebensowenig sind die liberalen Forderungen, welche manchem den eigentlichen Inhalt des Naturrechtes zu bilden scheinen, notwendige Folgerungen aus den naturrechtlichen Grundanschauungen. Denn das Naturrecht bezeichnet lediglich eine bestimmte Art des Rechtes, welches aus der menschlichen Vernunft hervorgeht und gewöhnlich auch auf universelle zeitliche und örtliche Geltung Anspruch macht. Welchen Inhalt das natürliche Recht hat, wird damit nicht gesagt. Aus der Lehre von der Freiheit und Gleichheit im Naturzustande folgen noch nicht die Grundsätze der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Freiheit. Diejenigen modernen Systeme, welche auf epikureischer Grundlage beruhen, haben die Freiheit und Gleichheit des Naturzustandes durch den Staatsvertrag wieder beseitigt, wie das von ihrem

1 Mohl, Geschichte und Litteratur der Staatswissenschaften. 1855. Bd. I, p. 227. 2 Kaltenborn, a. a. O. p. 49.

Standpunkte konsequent war; den Philosophen, welche das stoische Naturrecht zur Basis machten, war es leicht, dem Individualismus zum vollen Siege zu verhelfen; aber auch hier geschah es nicht sofort, entweder weil sie die stoischen Grundanschauungen veränderten oder weil sie durch zwei epikureische Gedankenelemente, die Lehre vom Naturzustande und vom Staatsvertrag, in der freien Bewegung gehindert wurden. Erst Locke verstand es, diese Schwierigkeiten zu beseitigen. Es hiefse die treibenden Kräfte der Entwicklung mifskennen, wenn man diesen Fortgang allein für einen theoretischen Vorgang halten wollte; eine wahrscheinlich viel einflussreichere Rolle haben die Bedürfnisse bestimmter Völker, mächtiger Klassen und Individuen gespielt. In das Naturrecht flüchtete sich aller religiöse, politische und wirtschaftliche Jammer der neuern Zeit. Mit den Bedürfnissen änderten sich die Lehren, und das Bedürfnis individueller Freiheit hat den Sieg des stoischen Naturrechtes entschieden. Dafs diese Meinung das Verhältnis von Leben und Lehre richtig auffafst, beweist am besten die Thatsache, dafs auch im stoischen Naturrechte nicht sofort und von Anfang an ein umfassendes System der subjektiven Freiheitsrechte gegeben wird, sondern dafs diese nach und nach auftreten, wie es die Bedürfnisse einzelner Völker und Klassen bedingen, und dafs so das subjektive Naturrecht allmählich anschwillt. Vom religiösen Individualismus gelangen wir zum politischen und sozialen und von diesem zum wirtschaftlichen.

Diese Erkenntnis läfst Reformation und Liberalismus vorurteilsfrei betrachten. Beide sind Produkte der Bedürfnisse mächtiger Klassen der Zeit. Weder die eine noch der andere sind an sich die Prinzipien alles Übels in der modernen Geschichte, und die erstere ist nicht die Mutter des zweiten. Der Liberalismus wurde erst dadurch schädlich, dafs er sich in ein naturrechtliches Gewand hüllte und nun erstens die doktrinäre, unhistorische Grundlage des stoischen Naturrechtes in die Köpfe und Gefühle grofser Massen überging und zweitens zeitlich berechtigte und beschränkte Bedürfnisse mächtiger Klassen den Stempel gottgewollter, für alle Zeiten und Völker geltender Forderungen erhielten. Nun hinderte er neue, zeitlich berechtigte und beschränkte Bedürfnisse anderer Klassen daran, befriedigt zu werden; er sperrte dem politischen, wirtschaftlichen, sozialen Fortschritt den Weg; der philosophische Individualismus, ein Produkt der Auflösung des Altertums, wurde, auf die modernen Völker übertragen, für sie ein Ansteckungsstoff, welcher wiederum Auflösung erzeugte; der Liberalismus erhielt jenen unduldsamen, fanatischen Charakter, welcher religiösen Bewegungen eigen ist; seine Anhänger fragten nicht mehr, ob die Freiheit zweckmässig sei, sondern sie handelten nach dem Grundsatze: die liberalen

Ideen müssen durchgeführt werden, welche Folgen sich auch einstellen mögen.

3.

Die Politik.

Als dritter Faktor wurde die Politik genannt. Sie hat die junge Wissenschaft nach mehreren Richtungen beeinflusst.

Wie die Politiker die Praxis ihrer Staaten umzugestalten suchten, gaben sie den Naturrechtslehrern den Anstofs, Ideale aufzustellen, Prinzipien zu formulieren. Einige Naturrechtslehrer, z. B. Oldendorp, sprechen diese praktische Tendenz ihrer Werke ganz offen aus. Allerdings brauchten die Bedürfnisse des politischen, sozialen und wirtschaftlichen Lebens nicht immer durch die Politik vermittelt zu sein, sie konnten den Naturrechtslehrern auch unmittelbar Antrieb zu wissenschaftlicher Arbeit werden 1. Dann sind die organische Auffassung des Staates, die durchaus verschiedenartige Analyse der menschlichen Natur, welche der Anschlufs der Politiker an Aristoteles mit sich brachte, weiter die spätrömische Lehre von dem Verhältnis des Staatsoberhauptes zu den Staatsgesetzen treibende Momente in der Entwickelung des Naturrechtes gewesen. Gleichfalls haben die Vertreter der Doktrin von der Staatsraison klärend auf das Naturrecht eingewirkt. So wurden Thomasius und Andere auch durch den Kampf mit den „Statistae" angeregt, die Gebiete des Naturrechts und der Politik zu sondern.

III.

Die Begründung des Naturrechts als selbständige
Wissenschaft.

Nachdem wir auf den vorhergehenden Seiten die theoretischen Faktoren der neuen Wissenschaft kennen gelernt haben, wollen wir die grofsen Systeme des modernen Naturrechts charakterisieren. Es wird sich zeigen, dafs ihr Aufbau durch die psychologische Analyse und die Schilderung des Naturzustandes des Menschen, welche der Naturrechtslehrer beliebt, wesentlich bestimmt wird. Diese beiden Elemente weichen, wie wir wissen, im epikureischen und stoischen System sehr von einander ab. Seine Fundamente wählt der Philosoph nicht willkürlich. Die politischen und sozialen Verhältnisse seiner Umgebung, die philosophischen Ideen und die Bildung seiner Zeit, sein Geist und sein Charakter und nicht zum mindesten das politische Ziel, für dessen Verwirklichung er wissenschaftlich eintritt, drängen ihn in eine bestimmte Auffassung hinein.

1 Kaltenborn, a. a. O. p. 109. 111.

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