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Spiegelungen der realen Verhältnisse auffafst, noch verhältnismäfsig neu und der Kampf zwischen den alten und neuen Ideen hat nirgendwo eine erschöpfende Darstellung gefunden. Wir besitzen ausgezeichnete Geschichten der Philosophie des Altertums, des Mittelalters und der neueren Zeit, aber kein eingehendes Werk über die Geschichte aller Zweige der Philosophie in der Übergangsperiode. Auch fehlt es uns an einem gründlichen Werke über die Geschichte der Politik. Was insbesondere das Naturrecht betrifft, so giebt es sowohl eine überreiche Anzahl von Darstellungen der Lehren der einzelnen Theoretiker, wie eine auf grofser Gelehrsamkeit beruhende und doch knappe, klare, juristische Geschichte des Ursprungs, der Entfaltung und Durchkreuzung der naturrechtlichen Ideen in Gierke's Werk Johannes Althusius" Aber überall vermifst man den Nachweis des Zusammenhangs des Naturrechts mit der Philosophie. Es wäre eine Anmafsung, wenn ich die Absicht hätte, hiermit einen Tadel auszusprechen. Denn wie jede Wissenschaft für ihre Zwecke definiert, so betrachtet sie auch den wissenschaftlichen Stoff lediglich vom Gesichtspunkte ihrer Bedürfnisse. Ein Nationalökonom aber, dessen Wissenschaft im Zusammenhange mit der modernen Philosophie herangewachsen ist, hat allen Grund, sich der philosophischen Seite des Naturrechts zu erinnern. Er wird dann im Stande sein, bestimmte theoretische und praktische Sätze als notwendige Konsequenzen aus wenigen bestimmten Grundanschauungen zu begreifen, während sie dem Juristen, welcher die philosophische Basis des Naturrechts nicht in Betracht zieht, als willkürliche Ansichten der Theoretiker erscheinen, welche er sorgsam verzeichnet und in langem Zuge aneinanderreiht. Die Berücksichtigung der philosophischen Basis erleichtert aber nicht allein das Verständnis, sondern auch die Widerlegung.

Wenn ich es daher auf den folgenden Seiten wage, hierüber einige Andeutungen zu machen, so wird man die Mängel billig beurteilen, da ich kein Philosoph bin. Die eben so wichtige Frage, welchen Anteil die politischen und socialen Zustände an der Entwicklung des Naturrechts gehabt haben, vermag ich kaum mehr als zu stellen.

I.
Vorbemerkung.

Wir werden die Entstehung des Naturrechts als selbständige Wissenschaft nicht völlig begreifen, wenn wir uns nicht deutlich machen, wie weit man vorgeschritten war, als Humanismus, Re

formation und Politik ihre Einwirkung auf den mittelalterlichen Ideenkomplex begannen1.

Es existierten die Grundbegriffe des Naturrechts, wie sie das Altertum geschaffen hatte, bereichert durch die Idee des unmittelbar ausgesprochenen göttlichen Gesetzes. Sie hatten aber kein selbständiges Dasein, sie waren in theologischen und juristischen Schriften vorgetragen worden. Weiter waren die Prinzipien des Naturrechts noch nicht von den theologischen geschieden. Endlich Endlich wurden die naturrechtlichen Lehren nach scholastischer Methode vorgetragen. Sollte sich also eine selbständige Wissenschaft bilden, so mussten die Grundbegriffe aus ihrer bisherigen Umhüllung herausgeschält und entwickelt werden, im Falle man nicht die Begriffe der griechischen Philosophie und des römischen Rechts an ihre Stelle setzte. Für das Naturrecht mufste zweitens eine nicht weiter ableitbare Erkenntnis als Ausgangspunkt gesucht werden. In dem zweiten Kapitel wurde schon angedeutet, dafs das verhältnismässig leicht war: man brauchte nur von Gott abzusehen, um in der vernünftigen Natur des Menschen ein Erkenntnisprinzip zu entdecken. Aber Gott wurde dann doch meistens durch ein Hinterthürchen eingeführt, sodafs jener Begriff thatsächlich das Fundament der meisten Systeme der neuen Wissenschaft geblieben ist. Eine selbständige Methode hat das Naturrecht nicht entwickelt. Nachdem es die scholastische Methode abgestreift hatte, verfiel es der mathematischen, die seit Descartes und Hobbes in allen Wissenschaften die herrschende wurde. Henning hatte sie schon im 16. Jahrhundert gefordert.

Die Entstehung des selbständigen Naturrechtes, welches von allen verwandten Disciplinen, der Moralphilosophie einerseits, dem positiven Rechte und der Politik anderseits, säuberlich getrennt war, welches auf eigenen Principien beruhte und die scholastische Methode abgeworfen hatte, hat zwei Jahrhunderte in Anspruch genommen; erst bei Thomasius und erst in seiner Schrift Fundamenta juris naturae et gentium" ist diesen Erfordernissen genügt.

II.

Die theoretischen Faktoren des Naturrechts.

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Das moderne Naturrecht wurzelt theoretisch in den drei Mächten, welche vorher skizziert wurden in dem Humanismus, der Reformation und der Politik; aber es zieht seine Nahrung in verschiedenem Grade aus ihnen.

1 Vergl. Kaltenborn, „Die Vorläufer des Hugo Grotius“. Leipzig 1848. p. 47. 48.

1.

Der Humanismus.

Zweifellos hat der Humanismus am meisten für die Wiederbelebung oder Kräftigung der naturrechtlichen Ideen gethan; denn mit ihm ist die Wiedererweckung des römischen, naturrechtliche Bestandteile enthaltenden Rechtes und der antiken Philosophie aufs innigste verknüpft. Von der Renaissance des römischen Rechtes geht der erste Ansturm naturrechtlicher Ideen aus, nicht aber die Gestaltung einer selbständigen Wissenschaft.

Wir haben vorher der grofsen französischen Juristen des 16. Jahrhunderts gedacht. In ihrem Bestreben, das verschiedenartige Recht, welches in Frankreich galt, einheitlich zu gestalten, in ihrem Wunsche, der Krone in dem Ringen mit unbotmässigen Vasallen beizustehen, endlich in den Bedürfnissen ihres abstrakten logischen Geistes, der überall Schärfe der Begriffe, Klarheit der Deduktion, Symmetrie, Übersichtlichkeit verlangte, lag die Veranlassung zu einer Überschätzung der naturrechtlichen, in den Pandekten enthaltenen Lehren, die zunächst segensreich war. „Sie wurde leidenschaftlicher Schwärmer für das Naturrecht. Das Gesetz der Natur übersprang alle provinziellen und städtischen Schranken, es setzte sich über alle Unterschiede zwischen Edelmann und Bürger, zwischen Bürger und Bauer hinweg, es räumte der Klarheit, Einfachheit und dem System die erhabenste Stellung ein Man darf behaupten, dafs

das Naturrecht das Gemeine Recht Frankreichs wurde oder wenigstens dafs die Anerkennung seiner Würde und seiner Ansprüche der eine Glaubenssatz war, dem alle französischen Rechtsgelehrten sich gleichmässig unterwarfen. Das Lob der vorrevolutionären Juristen kennt gar keine Grenzen, und es ist bemerkenswert, dafs die Schriftsteller über das Gewohnheitsrecht, welche sich oft für verpflichtet hielten, über das reine römische Recht absprechend zu urteilen, selbst in noch glühenderen Ausdrücken von der Natur und ihren Gesetzen reden als die Civilisten, welche die höchste Achtung vor den Pandekten und dem Codex bezeugen Die Hypothese eines Naturgesetzes war nicht so sehr eine Theorie geworden, welche die Praxis leitete, als ein spekulativer Glaubensartikel, und daher werden wir auch finden, dafs bei der Umwandlung, welche es später erfuhr, seine schwächsten Teile sich in der Achtung seiner Anhänger zur Höhe seiner stärksten erhoben" 1.

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Unzweifelhaft hat das römische Recht noch in anderen Ländern die gröfsten Anregungen in der bezeichneten Richtung gegeben. So scheint Oldendorp, Professor der Rechte zu Köln

1 Sir Henry Sumner Maine: Ancient law. 10. Aufl. London 1885. p. 85. Mir scheint es, dafs der Verfasser die Bedeutung des philosophischen Naturrechts für Frankreich nicht genügend würdigt.

und Marburg, der eigentliche Begründer des Naturrechtes als selbständiger Disziplin, dessen Werk 1539 erschien, nach dem, was Kaltenborn über ihn mitteilt, ebenso sehr auf den römischen Juristen wie auf Cicero zu fussen. Doch da ich natürlich nicht die Absicht habe, die Geschichte des Naturrechtes zu schreiben, so begnüge ich mich damit, auf diesen Faktor hingewiesen zu haben, und ich wende mich zu dem anderen, der Wiedererweckung der griechischen Philosophie.

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Um nun hier mit genügender Klarheit zu sehen, müssen wir unter den Schriftstellern, welche in der neuen Zeit das Naturrecht behandelt haben, drei Gruppen unterscheiden. Erstens die katholischen, welche die mittelalterliche Tradition, durch die Gegner angeregt, aber nicht in ihrer Überzeugung erschüttert, fortsetzten. Das bedeutendste Werk dieses Rechtes ist der Tractatus de legibus" von Suarez (1609). Welche Geltung sich Aristoteles in dieser Gattung von Schriften verschafft hat, weifs ich nicht. In betreff der übrigen Schriftsteller möchte ich glauben, dafs die Lehren des Stagiriten von geringerem Einflufs gewesen sind, als man gewöhnlich annimmt. Am meisten treten sie in der Ethik Melanchthons hervor. gegen sind Stoicismus und Epikureismus die eigentlichen treibenden Mächte des modernen Naturrechtes. Damit will ich natürlich nicht behaupten, dafs die grofsen Naturrechtslehrer nicht auch aus den Werken der andern grofsen Philosophen geschöpft haben.

Da

So müssen wir eine zweite und dritte Gruppe aussondern, von denen die eine sich an die Stoiker1, die andere an die Epikureer anschliefst. Der gröfste Theoretiker der zweiten ist Grotius, der einflussreichste Locke. Der Franzose Gassendi steht an der Spitze der dritten. Mit dem Epikureismus erneuert

1 Ob die stoische Philosophie auf die französische Juristenschule einen Einfluss ausgeübt hat, ist mir unbekannt. In ihr wurde zuerst die Frage aufgeworfen z. B. von Cujacius, welchen Anteil die griechische Philosophie bei der Bildung des römischen Rechts gehabt hat. Hildenbrand a. a. O. p. 594.

2 Dafs Gassendi, der Erneuerer des epikureischen Naturrechts, sehr wohl wusste, woher es stamme, ist selbstverständlich. Dafs Grotius an mehreren Stellen der Stoiker gedenkt, werde ich noch hervorheben. Pufendorf bezeichnet sich als halben Stoiker, während Hobbes den Epikureismus aufgewärmt habe: Ego enim Stoicorum sanae sententiae proxime accedo: Hobbesius autem Epicuraeorum hypothesin recoquit. Hinrichs, Geschichte der Rechts- und Staatsprinzipien. 1850. Bd. II. p. 13. Barbeyrac teilt in der Vorrede zu seiner Übersetzung von Cumberlands „Disquisitio de legibus naturae philosophica" mit: als Pufendorf das Buch gesehen, habe er sich dazu beglückwünscht, dafs C., wie er, eine der Hypothese des Thomas Hobbes entgegengesetzte verfechte,qui approchait fort des dogmes des anciens Stoiciens". Traité philosophique des Loix Naturelles. Amsterdam 1744. p. III. Cumberland selbst, welcher sein ganzes Werk hindurch gegen Hobbes kämpft, behauptet, er habe vorzugsweise gegen die Epikureer zu streiten. A. a. O. Discours Préliminaire de l'Auteur § V.

er das epikureische Naturrecht. Die epikureischen Ideen finden ihren scharfsinnigsten, energischsten, gewaltigsten Verfechter in Thomas Hobbes. Neben ihm mufs Spinoza erwähnt werden.

Damit ist die Rolle bezeichnet, welche dem Humanismus bei der Gestaltung des modernen Naturrechtes zufiel: er hat erstens die naturrechtlichen Bestandteile des römischen Rechtes und zweitens die philosophischen Systeme des Stoizismus und Epikureismus wieder erweckt.

Der Anteil Frankreichs an dieser Geistesarbeit ist der gröfste. Im 16. Jahrhundert wirken die französischen Rechtsgelehrten für die Idee eines natürlichen Rechtes; im 17. erneuert Gassendi das epikureische Naturrecht. Im historischen Zusammenhange gesehen erscheint es nicht so auffallend, dafs im 18. Jahrhundert die naturrechtlichen Anschauungen ihren furchtbarsten, erschütterndsten und fanatischsten Ausdruck in den Schriften Rousseaus und der Physiokraten finden, dafs in Frankreich die grofse naturrechtliche Revolution ausbricht, dafs von dort die kriegerische Propaganda für den Umsturz der alten Rechtsordnung ausgeht.

Der Ruhm Hollands ist daneben quantitativ geringer, qualitativ gröfser. Ein Sohn jener Universität Leyden, an der Justus Lipsius für die Renaissance der stoischen Philosophie wirkt, schafft Hugo Grotius ein Werk von so ungeheurer Wirkung, dafs es, die früheren Schriften verdunkelnd, lange Zeit als die erste Erscheinung dieser Art gilt. Insbesondere stellt es den Ruhm unseres Vaterlandes in Schatten, da es doch gerade ein Deutscher, Oldendorp, war, welcher das erste System des Naturrechtes schuf. Es verrät, wie erinnerlich, ebenso sehr das Studium Ciceros wie das der römischen Juristen1.

Doch wie griff die Reformation in diesen Prozess ein?

2.

Die Reformation.

In den ermattenden Geisteskämpfen um alle Fundamente des ethischen Menschen konnten die Begriffe Staat und Recht unmöglich von der Erörterung ausgeschlossen werden. bekannt, wie verschieden das Ergebnis der Denkarbeit z. B.

1 Diese Zeugnisse liefsen sich leicht vermehren; aber die vorliegenden genügen doch zum Beweise, dafs sich die grofsen Begründer des Naturrechts als selbständiger Wissenschaft sehr wohl bewusst waren, dafs sie auf den Grundlagen des antiken Naturrechts weiterbauten und fundamentale Gegensätze zwischen Stoizismus und Epikureismus vorhanden seien. Seitdem Lange und Guyau die tiefgehende Einwirkung des Epikureismus auf die moderne Gedankenwelt nachgewiesen haben, zweifelt daran auch niemand mehr; hoffentlich wird der ganz gewaltige Anteil des Stoizismus an der Gestaltung der modernen Philosophie, insbesondere der ethischen und politischen Ideen, einmal seinen Darsteller finden.

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