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Wenn wir uns, an diesem Punkte angekommen, die Entwicklung der Lehren vom natürlichen Rechte noch einmal zu vergegenwärtigen suchen, so zeigt sich, dafs sie teilweise in den Schriften der griechischen und römischen Philosophen, teilweise in den Pandekten. teilweise in mittelalterlichen Werken vorgetragen worden waren. Es bedarf keiner Ausführung, dafs man nicht alle Quellen gleichmässig eröffnet hatte. Dies geschah durch die Renaissance.

Drittes Kapitel.

Die Ausbildung des Naturrechts als selbständige Wissenschaft.

Wir stehen an der Schwelle jener grofsen Zeit, wo die mittelalterliche Bildung, die mittelalterliche religiöse Weltanschauung und der mittelalterliche Staatsbegriff vor den gewaltigsten Angriffen teils erlagen, teils zurückwichen. Man hat es oft versucht, die Gruppen von Streitern für die Entwicklung der modernen geistigen Welt als Kämpfer darzustellen, die auf verschiedenen Schlachtfeldern für die eine Idee der Menschenbefreiung fochten: Humanismus, Reformation, die moderne Politik seien nur Glieder einer grofsen Kette. Es lässt sich nicht verkennen, dafs diese drei Richtungen Berührungspunkte aufweisen, hie und da ineinander übergehen und sich gegenseitig unterstützen; das liegt im Wesen oppositioneller Bestrebungen. Im Jahre 1848 gingen auch, um Grofses mit Kleinem zu vergleichen, Zünftler und Socialisten zuweilen zusammen, weil sie sich des gemeinsamen Gegensatzes klarer als der entgegengesetzten Ziele bewusst waren. Die vorher gekennzeichneten Richtungen sind aber in ihrem Ursprunge, wie mir scheint, sehr deutlich von einander getrennt. In diesem Punkte weisen sie nur die äufsere Verwandtschaft auf, dafs sie im Kampfe für das Zukünftige gegen das Gegenwärtige auf die Vergangenheit zurückgehen.

Der Humanismus will das Altertum wieder erwecken; er setzt sich dadurch zunächst in den schneidendsten Gegensatz gegen die Methode der mittelalterlichen Wissenschaft und deren Darstellungsform; allmählich wird er dazu fortgetrieben, die Wissenschaft der Alten über die mittelalterliche Scholastik zu stellen und zuletzt heidnisch zu fühlen und zu denken. Aus

dem Humanismus gehen die Philosophie und die Philologie der Übergangszeit hervor.

Die antiken Systeme werden erneuert, die platonischen Studien leben wieder auf, der wahre Aristoteles wird entdeckt, um Zeno und Epikur, ja Pyrrho und Empedokles scharen sich Jünger. Der hervorragendste Erneuerer der stoischen Philosophie ist der Niederländer Justus Lipsius, welcher beinahe ein Vierteljahrhundert an der Universität Leyden wirkte; der erfolgreiche Vorkämpfer des Epikureismus heifst bekanntlich Pierre Gassendi; sein Einfluss auf die neuere Philosophie ist durch Lange und Guyau ins Licht gestellt worden1. Und nicht nur den metaphysischen Ansichten der alten Philosophen gilt die Aufmerksamkeit von Schöngeistern, Gelehrten und Philosophen, auch ihre ethischen Lehren erwarben sich Anhänger.

Zunächst fand dasjenige System Bewunderer, dessen unbeugsame Tugendstrenge sich noch am leichtesten mit dem Christentum verträgt, nämlich das stoische; man wollte noch im Schatten der Kirche weilen, man war sich wohl auch nicht des tiefen Gegensatzes zwischen antiker und christlicher Ethik voll bewusst. Die antike Anschauung schreibt dem Menschen die Fähigkeit zu, das Gute aus sich selbst zu schaffen dieses ist folglich natürlich. Dagegen läfst die christliche Lehre die göttliche Gnade entweder Alles, oder doch das Wesentliche in der verderbten Menschennatur wirken; das Sittliche erscheint hiernach als etwas Unnatürliches. Dabei wird von dem zwei Jahrhunderte nach Christus gestifteten Neuplatonismus abgesehen, den man nicht als ein reines System der antiken Philosophie betrachten kann, und dessen asketisch - ekstatisches Ideal dem christlichen verwandt ist 2.

Aber auch dem Epicureismus, der nach Gass Italien innerlich beherrschte3, erwuchs ein geistvoller Vertreter in Valla, welcher ein Werk, De voluptate" schrieb. Wie diese Be

1 Siehe „Justi Lipsi Manuductio ad Stoicam Philosophiam" und dessen „Physiologia Stoicorum" in der Gesamtausgabe seiner Schriften, Bd. IV, Vesaliae 1675.

2 Für das Interesse des italienischen Humanismus an der stoischen Philosophie manche Zeugnisse bei G. Voigt, Die Wiederbelebung des klassischen Altertums. Dafs Petrarka die stoische Philosophie auch in seinem Leben darstellen wollte, Bd. I, p. 97; dafs seit Petrarka und Salutato die Humanisten sich insgesamt zur Stoa bekannten und sie mit der christlichen Lehre auszugleichen suchten", Bd. I, p. 468. Lionardo Bruni schrieb ein kleines Handbuch der Moral, in welchem er die stoische mit der epikureischen Lehre verglich, der ersteren den Vorzug gab und sie mit der christlichen Ethik in Verbindung zu setzen suchte, Bd. II, p. 458. Bd. II, p. 459 nennt Voigt ihre Schulweisheit Stoizismus mit christlichem Aufputz". Von Salutato heifst es: Lebenserfahrung und Nachdenken haben ihn mit dem Begriff der stoischen Tugend erfüllt", Bd. II, p. 475. Siehe auch die längere Stelle Bd. II, p. 468. 3 Geschichte der christlichen Ethik, Bd. II, 1, p. 16.

wegung in dem halb skeptischen, halb epikureischen Montaigne und dem gröfsten Wiedererneuerer des Epikureismus, Pierre Gassendi, ihr Ziel erreichte, aber eine neue Bewegung in der modernen Ethik auslöste, haben wir an einer andern Stelle darzustellen.

Zunächst ist es für uns wichtig, die Thatsache ins Auge zu fassen, dafs im Gefolge der Humanisten neben den mit ihnen innerlich verwandten hervorragenden französischen Philologen die grofsen französischen Rechtsgelehrten des 16. Jahrhunderts schreiten. Durch ihre treue Arbeit vollzieht sich die Renaissance des römischen Rechtes. Ihr wissenschaftliches, auf die Wiederbelebung des Rechtes gerichtetes Interesse und ihr kritisches und exegetisches Können erheben sie weit über die mittelalterlichen Glossatoren, Postglossatoren, Legisten und Kanonisten. Unter ihnen ragt Cujas am meisten durch historischen Sinn hervor1. Die geschichtliche Richtung ihrer Studien, ihr durch Tradition und Glosse zur reinen Quelle durchdringender Geist weisen darauf hin, dafs sie Zeitgenossen der Reformatoren sind.

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Der gemeinsame Zug aller Reformation ich spreche nicht von der Ursache oder dem Ursprung der Reformation der gemeinsame Zug aller Reformation von den Waldensern bis auf Luther, Calvin, Zwingli herab ist das Bestreben der führenden Geister, auf das Evangelium zurückzugehen, den Text, unbeirrt durch Überlieferung und Dogmen, auf sich wirken zu lassen und die kirchliche Verfassung der ersten Zeit des Christentums wieder ins Leben zu rufen. Darum erhalten auch die Studien der Reformatoren einen philologisch-historischen Charakter; es entstehen innere und äufsere Beziehungen zum Humanismus. Beide kämpfen gegen eine verweltlichte Kirche, gegen eine entsittlichte Geistlichkeit, gegen eine dumm und unwissend oder leer und spitzfindig gewordene Scholastik" 2. Beide arbeiten an dem Fundamente einer neuen Ethik und doch, obgleich der Stifter eines weltlichen Christentums" dem Natürlichen sein Recht zurückerobert und die irdischen Berufe wieder geheiligt hat, so werden der optimistische Heide und der pessimistische Christ durch ihre Ansicht von dem Werte der menschlichen Natur unüberbrückbar geschieden. Humanismus und Reformation verbindet auch der Kampf gegen Papst und ultramontane Kirche. Das gute Recht des Staates an sich und des nationalen Staates auf Selbständigkeit und Unabhängigkeit von der Kirche werden anerkannt, das heifst theoretisch; denn in Wirklichkeit wurde in

1 Lerminier, histoire du droit, welcher Cujas und Douneau mit einander vergleicht, möchte den Ersten zum Stammvater der historischen Schule machen.

2 Siehe die Ausführungen von Th. Ziegler: Geschichte der christlichen Ethik. Strafsburg 1886. Kap. VIII: Humanismus und Refor mation. Von Ziegler stammt auch der Ausdruck Stifter eines weltlichen Christentums".

protestantischen Ländern der Staat entweder der Herr oder der Handlanger der Kirche.

Durch diese Bestrebungen reichen Humanisten und Reformatoren den grofsen Politikern des 16. und 17. Jahrhunderts die Hand. Die politischen Schriften dieser Periode entspringen aus Bedürfnissen der Zeit, wie Humanismus und Reformation aus geistigen und sittlichen Bedürfnissen hervorgehen. Der Staat mufs frei von äussern Mächten sein, das richtige Verhältnis der Staatsgewalt zu den Gliedern des Staatsleibes gefunden und durchgeführt werden. Wie in dem Ringen für das Notwendige und Neue Humanismus und Reformation in dem Alten ihre Stütze suchen, so schöpfen auch die modernen Politiker aus den Quellen des Altertums, welche ihnen Humanisten und Reformatoren eröffnet haben. So verschiedene Geister, wie Machiavelli und Bodin, beide in ihrer Art für die moderne Staatsgewalt eintretend, haben ihre Ideale an dem Studium der klassischen Litteratur gereift1.

Andere suchen ihre Vorbilder im Alten Testamente. Männer, wie Arnisäus, Graswinckel, Filmer, möchten die absolute Monarchie auf das patriarchale Königtum bauen; die Politiker der kalvinistischen Richtung, welche durchweg ein entschieden freiheitlicher Geist kennzeichnet, suchen und finden unmittelbar in der heiligen Schrift nicht nur ausschliesslich die für das sociale Leben mafsgebenden religiösen und ethischen Wahrheiten, sondern zugleich Normen für die äufsere Ordnung von Kirche und Staat" 2.

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Aus dieser gährenden Zeit geht nun auch das Naturrecht als selbständige Wissenschaft hervor. Sofern sich ein Entwicklungsgesetz der modernen Wissenschaft aus der vorher gegebenen Darstellung entnehmen läfst, darf man die Überzeugung aussprechen, dafs die neue Disziplin ihren Ursprung sowohl in den Bedürfnissen der Zeit habe, wie im Zusammenhang mit Humanismus, Reformation und Politik herangewachsen sei. Leider hat bis jetzt niemand genau nachgewiesen, welchen materiellen Ursachen, welchen theoretischen Anregungen es seine Entwicklung verdankt. Die Hervorhebung dieser Lücken soll keineswegs die Erwartung erregen, dafs sie auf den folgenden Seiten ausgefüllt würden. Denn dies kann nur die Aufgabe eines Geschichtschreibers des Naturrechtes oder der Philosophie sein, und eine Darstellung, wie die vorliegende, mufs sich teilweise auf derartige Schriften stützen. Nun ist aber die historische Betrachtung, welche die Ideen entweder ganz oder zum Teil als

1 Bluntschli, Geschichte der neueren Staatswissenschaft. 3. Aufl. München u. Leipzig 1881. 2. Kapitel.

3 Gierke, Althusius p. 56.

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