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geboren, indem solcher unmittelbar der ratio eingepflanzt ist..."1.

Durch diese Lehren wird Cicero der Vermittler zwischen der Ethik der Stoiker und den Doktrinen der christlichen Philosophie 2. Jene ethischen Begriffe treten immer wieder auf, vermehrt um den Begriff des unmittelbar ausgesprochenen göttlichen Gesetzes, bei Paulus, Pelagius, Augustinus, Scotus Erigena, Abälard, am durchgebildetsten bei Thomas von Aquino3. Dafs Gott der menschlichen Natur ein sittliches Gesetz eingeschaffen habe, dafs folglich das Naturgesetz in Wahrheit auch ein göttliches Gesetz sei, dafs neben diesem mittelbar göttlichen Gesetze ein durch die Offenbarung direkt verkündetes bestehe, dafs von diesen Arten von Gesetzen das bürgerliche, menschliche unterschieden werden müsse: das ist ein Kern von Gedanken, der sich fast überall aus den Lehren der mittelalterlichen Theologen und Scholastiker herausschälen läfst. Wie diese Männer die erwähnten Sätze verwerteten, welche Schlüsse sie aus dem Nebeneinanderbestehen eines natürlichen göttlichen Gesetzes mit der behaupteten Notwendigkeit des Übernatürlichen zogen: das darzulegen ist ebenso wenig unsere Aufgabe, wie der Konsequenzen zu gedenken, welche die von den Nominalisten vorgenommene Basirung des Gesetzes auf den Willen Gottes, nicht auf seine ewige Vernunft nach sich ziehen musste. Es ist aber klar, dafs, nachdem später in der Doktrin die Beziehungen des natürlichen Gesetzes zu der göttlichen Vernunft oder dem göttlichen Willen gelöst oder zerschnitten wurden, nichts übrig blieb, als die ursprüngliche Fähigkeit der menschlichen Natur, Sittlichkeit und Recht aus sich selbst zu erzeugen. Doch werden jene Fäden immer wieder angeknüpft. Dafs das der menschlichen Natur entstammende Gebot zugleich ein göttliches sei, hat noch Adam Smith vorgetragen.

Im Vorhergehenden haben wir mehr die dem Naturrecht und der Ethik gemeinsame Seite der Ciceronianischen Philosophie betont. Aber auch auf dem speciell naturrechtlichen Gebiete wurde von Cicero eine Durchdringung der Begriffe des römischen Rechtes mit dem griechischen Gedanken angestrebt; er ist hierdurch ein Lehrer der römischen Juristen geworden, welchen es gelang, jene Verschmelzung wirkungsvoller durchzuführen.

Bekanntlich hat sich durch die Berührung der Römer mit

1 Voigt a. a. O. p. 185. 187. 192. Auch die Bezeichnung „Ordo" findet sich schon bei Cirero, wie Daire behauptet. Physiocrates I, Introduction S. XX.

2 Jodl, Geschichte der Ethik in der neuern Philosophie 1882. Bd. I, p. 33 und 35.

3 Jodl a. a. O. p. 53, 56, 58, 64, 66, 68.

ent

fremden Völkern der Begriff des jus gentium, des allen Völkern gemeinsamen Rechtes - quo omnes gentes utuntur wickelt. Es ist weiter bekannt, dafs diese den Völkern gemeinsamen Rechtssätze durch die Gewohnheit und das prätorische Edikt Einfluss auf das jus civile gewannen, sodafs das jus aequum einen Teil seiner Kraft im Kampfe mit dem jus strictum aus dem jus gentium zog.

Die stoische Philosophie, die Schriften Cicero's schlingen nun ein geistiges Band um diese aus praktischen Bedürfnissen entstandenen Rechtsgebiete. Das jus gentium der Juristen wird mit dem jus naturale der Philosophen in Verbindung gebracht; es scheint sich in dem jus gentium, quo omnes gentes utuntur, das Naturrecht zu offenbaren, quod naturalis ratio constituit. Zwar ist das jus gentium nicht allgemein dem jus naturale völlig gleichgestellt worden; doch haben die Identität einige Juristen, z. B. Gaju, behauptet. Das jus naturale würde auch dabei verloren haben. Nur dadurch gewann es seine ganze Hoheit, dafs es als ein bruchstückweise verwirklichtes und als ein erst ganz zu verwirklichendes Ideal erschien, bestimmt, alles einseitig nationale Recht zu verdrängen.

Über die Bedeutung der Überführung griechischer Philosopheme in die römische Rechtswissenschaft drückt sich in überaus klarer Weise Voigt aus. Er behauptet, „dass jene Lehre (vom jus naturale) zuerst das römische Volk zu einer kosmopolitischen Anschauungsweise emporhob und so diejenigen Vorstellungen, deren Keime bereits weitgreifende Eroberung und ausgedehnter Handelsverkehr in die Ideenwelt der Römer verpflanzt hatte, zur bewussten Erkenntnis führte und zu voller Ausdehnung und Tragweite ausbildete. Gleich allen Nationen des Altertums geht Rom in seiner staatlichen Entwicklung aus von dem Prinzip nationaler Exklusivität in allen religiösen, wie politischen und bürgerlichen Beziehungen. Auf jenes Prinzip stützt sich der antike Begriff vom Staate, wie wir solchen namentlich von Aristoteles, Polybius und Cicero ausgesprochen, vom antiken Leben getragen sehen. Hiernach erscheint der Staat als societas der Bürger zum Zwecke der Gemeinsamkeit des Rechtes, wie alles Nutzbringenden .... Über diese Gränze hinaus war den Römern die Vorstellung einer Gemeinschaft zwischen den Menschen oder zwischen den Freien völlig fremd." Doch als später „die Römer ein privatrechtliches jus gentium aufstellten, erkannten dieselben darin in der That eine Rechtsnorm an, welche nicht blofs die socii civitatis, sondern die gesamte freie Menschheit beherrscht. . . . Diese Annahme einer societas hominum enthält aber in Wahrheit den Grundgedanken und das Prinzip, welches vom antiken Standpunkte aus in der Erscheinung des jus gentium verhüllt lag .... Gerade jener Grundgedanke... jenes neue Dogma. war von dem freien Gesichtspunkte der griechischen Philosophie erkannt und aus

gesprochen, von Cicero aber in einer für den antiken Standpunkt erhabenen Weise begründet und seinen Mitbürgern zur bewussten Anschauung vergegenwärtigt worden. Indem nun von dem letzteren, wie bereits von den Stoikern, jenes Dogma in die innigste Beziehung zur Theorie vom jus naturale gesetzt ward, so wirkte nun in dieser Verbindung das jus naturale, ebensowohl das Dogma von der societas hominum unterstützend, wie selbst von diesem gestützt, in der oben bezeichneten kosmopolitischen Richtung.

Dies ist die wichtigste Bedeutung, welche, namentlich in ihrer Verbindung mit dem Dogma von der societas hominum, die Lehre vom jus naturale für das gesamte Altertum hatte; ein bedeutungsvoller Moment aber auch in der Geschichte des gesamten Menschengeistes und seiner Kultur. Der Wendepunkt, wo eine neue Phase in dem Gange der Entwicklung der Menschheit anhebt und der Geist der Neuzeit, unterstützt und gefördert durch die kosmopolitischen Lehren des Christentums, seine Schwingen zu entfalten beginnt" 1.

Vergessen wir nicht zum Schlusse zu erwähnen, dafs die römische Rechtswissenschaft noch eine andere Art des Naturrechts kennt. Neben dem jus naturale quod naturalis ratio constituit, und das nur für vernunftbegabte Menschen Geltung hat, existiert das jus naturale quod natura omnia animalia docuit, ein Naturgesetz, welches der Schöpfer der ganzen belebten Welt vorgeschrieben hat und dem die Tiere instinktiv gehorchen. Als ein besonderes Recht der Menschheit stellt sich dann das Naturrecht in der ersten Bedeutung dar. Für die Menschheit selbst ist „das absolute Recht. Die römischen Juristen drücken dies durch drei Attribute aus, die sie ihm beilegen, nämlich die Universalität der Geltung sowohl für die Völker, als für die Einzelmenschen, die Unwandelbarkeit im Verlaufe der Zeit, und die höchste materielle Gerechtigkeit" 3.

es

Diese Ideen gingen allmählich in den Besitz der mittelalterlichen Schriftsteller über 4. Sie fanden zum Teil einen wohl

1 Voigt a. a. O. p. 235–237.

2 Jus istud non humani generis proprium, sed omnium animalium commune est. Hinc descendit maris et feminae conjunctio, quam nos matrimonium appellamus, hinc liberorum procreatio

...

3 Hildenbrand a. a. O. p. 607.

4 Wir stellen uns das Verschwinden der lateinischen Litteratur im Mittelalter übertrieben vor. G. Voigt (Die Wiederbelebung des klassischen Altertums, 2. Aufl. 1880-1. p. 4) sagt: Wie die römischen Rechtsbücher, so blieb auch die geschichtliche, philosophische und poetische Litteratur der Römer niemals ganz unbeachtet liegen

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die Kirchenväter wiesen vielfach auf die profanen Autoren hin, denen sie ja ihre Erudition zum guten Teile verdankten . . . Endlich besitzen

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vorbereiteten Boden. Für den νοῖς, den λόγος τοῦ παντός trafen sie den ɛóg oder λóyos; das christliche Universalreich war mit dem Weltstaate der antiken Philosophen verwandt; der angenommene Naturzustand der griechisch-römischen Denker erhielt durch die christliche Lehre vom Paradiese die kräftigste Bestätigung: die Gleichheit aller Vernunftwesen hatte in der Gotteskindschaft aller Menschen ihr Gegenstück. Aber schon früh scheinen die stoischen Gedankenelemente auf die seltsamste Weise mit epikureischen Bestandteilen verquickt worden zu sein. Wenn alle Menschen von einem Paare abstammten und ursprünglich in einem staatenlosen Zustande gelebt hatten, dann war die Frage nicht zu vermeiden, wie denn der Staat entstanden sei. Sie wurde brennend, als Gregor VII. das Band zwischen Universalkirche und Universalreich zerrifs. Unter dem Einflusse der von der Antike genährten philosophischen Staatslehre fängt man an, die Entstehung des Staates auf Naturtrieb und menschliche Willensvorgänge zurückzuführen. „Der göttliche Wille," sagt Gierke, wird zwar als wirkende Ursache festgehalten, allein er tritt in die Rolle der causa remota zurück“ 1. Ein Jahrhundert später, zuerst zur Zeit des Investiturstreites, entwickelt sich die Lehre vom Staatsvertrage. Woher kommt sie? Gierke meint: „Die kirchlichen Vorstellungen von einem ursprünglichen Naturzustande, in dem es weder Eigentum noch Herrschaft gegeben haben sollte, waren ihr förderlich.“ Da nun hiermit, wie die Lehre der Stoa beweist, noch nicht die Lehre vom Staatsvertrage gegeben war, so verweist Gierke auf mancherlei Erinnerungen aus der germanischen Rechtsgeschichte und die vertragsmäfsige Ausgestaltung so vieler geltender öffentlicher Rechtsverhältnisse durch Vereinbarung zwischen Fürsten und Ständen... Vor allem aber entschied über ihren Sieg die Auffassung, welche man über den Ursprung der höchsten irdischen Gewalt, in der man das Muster aller Staatsgewalt erblickte, mehr und mehr entwickelte. Die Jurisprudenz war auf Grund ihrer Quellen von vornherein darüber einig, dass die kaiserliche Gewalt als Nachfolgerin in das imperium der römischen Cäsaren zuletzt auf der durch die lex regia vollzogenen einstmaligen Volksübertragung beruhe" 2.

Aber ist denn nicht vielleicht doch die Wiedererweckung

wir aus allen Perioden der mittelalterlichen Zeit handschriftliche Kopieen klassischer Autoren, die doch ein thätiges Interesse für die Litteratur bezeichnen. Derselbe Verfasser schreibt: „Die blofse Belesenheit ist noch lange nicht jene einseitige Begeisterung der Humanisten. An Kenntnisnahme und selbst Interesse für das Altertum hat es zu keiner Zeit ganz gefehlt." Bd. II, p. 265.

1 Gierke, Joh. Althusius und die Entwicklung der naturrechtlichen Staatstheorieen. Breslau 1880. p. 63.

2 a. a. O. S. 77.

des epikureischen Systems von Einfluss gewesen? Gierke leugnet es, ohne jedoch Gründe für seine Ansicht anzuführen 1.

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Seit dem Ende des 13. Jahrhunderts stellte die philosophische Staatslehre das Axiom auf, dafs der Rechtsgrund aller Herrschaft in freiwilliger und vertragsmäfsiger Unterwerfung der beherrschten Gesamtheit liege" 2. Über die Natur der Herrschaftseinräumung bestand eine Kontroverse zwischen den Verfechtern der translatio und den Anhängern der concessio, zwei Worten, welche den Inhalt der von ihnen bezeichneten Begriffe ohne weitere Erläuterung erkennen lassen. Aus der Annahme der concessio ging schon im Mittelalter die Lehre von der Volkssouveränetät hervor 3.

So durchkreuzen sich zu Ende des Mittelalters stoische und epikureische Gedanken: das ewige, für alle Zeiten und Völker geltende Naturrecht und die Lehre vom Staatsvertrage. Aber diese Ideen liefsen sich ebensowohl miteinander, wie mit der christlichen Lehre verbinden. Nach der Stoa war ja auf das goldene Zeitalter eine Periode der Verderbnis gefolgt, welche das positive Gesetz zur Folge hatte. Wenn man sich nun diese Zeit in der Weise der Epikureer dachte, so konnte man sehr wohl die Lehre vom Staatsvertrage an diejenige vom ewigen natürlichen Vernunftrechte reihen. Ins Christliche übersetzt, hiefs dies: Die von Gott nach seinem Ebenbilde geschaffenen Menschen lebten ursprünglich im Paradiese; während dieses Zustandes völliger Unschuld standen sie allein unter dem direkt ausgesprochenen Gesetze Gottes. Infolge der Sünde wurden sie aus dem Paradiese verstofsen; Habsucht und Mord entzweiten sie; sie zerstreuten sich über die Erde und lebten ein unsicheres und jämmerliches Leben. Um ihr Dasein zu schützen, gründeten sie endlich den Staat durch einen Vertrag. Obwohl ihre Fähigkeiten geschwächt waren, gestattete ihnen die Thatsache, dals sie nach dem Ebenbilde Gottes geschaffen waren, mit Hilfe ihrer Vernunft das Naturrecht zu finden.

1 Ich stelle natürlich nur eine Hypothese auf und begnüge mich daher, eine Stelle aus dem genannten Werke von Guyau hieher zu setzen, welche beweist, wie sehr die epikureische Lehre, die im ganzen Mittelalter bekannt blieb, im 12. Jahrhundert an Kraft gewonnen hatte. „Au commencement du douzième siècle, lorsque un courant d'incrédulité commença à se produire en Europe et surtout en Italie, lorsque des sociétés secrètes se formèrent pour la destruction du christianisme, les plus logiques parmi ces partisans d'un esprit nouveau n'hésitèrent pas à invoquer le nom d'Epicure. A Florence, en 1115, un parti d'Epicuriens se forma, assez fort pour devenir le sujet de troubles sanglants. L'hérésie des Epicuriens, remarque Benvenuto d'Imola, était entre toutes celle qui comptait les plus nombreux partisans" u. s. w. p. 191. Und Windelband, Geschichte der neueren Philosophie, Leipzig 1878, sagt ausdrücklich: „Freilich war der Epikureismus niemals völlig vergessen worden. In der poetischen Darstellung des Lucrez und in der Reproduktion der Schriften Cicero's war er bekannt geblieben", Bd. I, p. 19.

2 Gierke, p. 78.

3 Gierke, p. 123. Forschungen (43) X 2.

Hasbach.

2

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