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kenntnisquellen der Medizin1. Um dieses Urteil richtig zu würdigen, müssen wir beachten, dafs dieser methodische Grundsatz zur Zeit Quesnays noch nicht völlig zur Anerkennung gelangt war. Damals rangen die Cartesianischen und die Baconischen Prinzipien in der Medizin noch miteinander. Auf Seiten jener standen die Iatromathematiker oder Iatromechaniker, welche sich von der Mitte des 17. bis weit in das 18. Jahrhundert hinein behaupteten, auf Seite der letzteren vor allem der englische Arzt Sydenham und der Holländer Boerhave2. Quesnay verfolgte also entschieden die neuere methodische Richtung in der Medizin. In seiner Jugend hatte er die mathematischen Studien vernachlässigt; am Abend seines Lebens wünschte er das Versäumte nachzuholen, weil seine nationalökonomischen Arbeiten viele Berechnungen erforderten; aber il oubliait son âge" 3. Von der Einführung einer mathematischen Methode in die Nationalökonomie kann aber nicht die Rede sein, Grand-Jean de Fouchy hätte sich in diesem Falle ganz anders ausdrücken müssen.

Dupont de Nemours betrübt es, dafs man die Lehre von der inneren Politik noch nicht für eine „exakte" Wissenschaft ansehe. Er ist wohl der erste, welcher dies neuerdings viel gebrauchte Beiwort in diesem Zusammenhange verwendet; er versteht unter einer exakten politischen Wissenschaft, wie der Sinn der Stelle ergiebt, eine solche, die, auf genaue Beobachtung, Messen, Wägen gestützt, gestattet, die Zukunft vorherzusagen

Es läfst sich ja auch nicht leugnen, dafs gerade das Beste an der physiokratischen Theorie: die Darstellung des wirtschaftlichen Kreislaufs, die Lehre von der Reproduktion der Urstoffe, ihrer Formung, Cirkulation und Verteilung, die Berechnung des Kapitalzinses, welchen der Pächter haben muss, und anderes auf einer Beobachtung des wirtschaftlichen Lebens beruhte, kurz sich als eine Beschreibung der französischen Wirtschaft des achtzehnten Jahrhunderts darstellte. Es stehen sich also schon während der Jugend unserer Wissenschaft in Frankreich zwei Methoden gegenüber eine abstrakt-deduktive und eine konkretdeskriptive.

Etwas Ähnliches gilt von Adam Smith. Er hat unzweifelhaft

1 Oncken, Oeuvres de Quesnay, p. 45. So Le comte d'Albon.

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2 Wunderlich, Geschichte der Medizin 1859, p. 132 ff., passim. Boerhave wies die Lehrsätze der Chemiatriker und Cartesianer zurück und verlangt die Verfolgung der einfachen Gesetze der Natur" auf dem Wege der Beobachtung, p. 167.

3 Oncken, a. a. O. p. 35. So Grand-Jean de Fouchy.

4 Nous mesurons les cieux et la terre, nous observons leurs révolutions, nous calculons leurs mouvements, nous prédisons les éclipses Si vous demandiez comment il faut s'y prendre pour qu' une société politique soit florissante . . . et qu'il vous répondit que ce n'est pas là l'objet d'une science exacte ... il ne faudrait pas trouver cette réponse ridicule, car elle paraît naturelle et raisonnable à ceux qui la font de bonne foi u. s. w., a. a. O. p. 337.

die abstrakt-deduktive Methode sehr beträchtlich angewandt, z. B. in der Lehre vom Preise und Lohn, vom Zins, von der Steuerüberwälzung; aber er hat sie nicht ausschliefslich angewandt, und er hat sie nicht konsequent angewandt. Wie ich schon an einer früheren Stelle hervorgehoben habe, finden sich neben Stellen, in welchen er den Egoismus mit der gleichbleibenden Intensität und Präzision einer Naturkraft wirken lässt, andere, in denen das Selbstinteresse nur die Tendenz hat, bestimmte Wirkungen hervorzubringen.

Er hat die mathematische Methode auch nicht ausschliesslich angewandt. Das ganze vierte Buch, das wichtigste von allen, ist ein induktiver Beweis für die Schädlichkeit des Merkantilsystems. Aus den Thatsachen, welche er in gröfster Fülle gesammelt hat, zieht er am Schlufs des Buches die Folgerung, dafs sich der Staat der wirtschaftlichen Intervention enthalten solle.

Hierzu kommt noch ein anderes. Smith steht in methodischer Hinsicht unter dem Einflusse Humes und Montesquieus; der erstere sucht, an Bacon anknüpfend, den Geisteswissenschaften eine empirisch-psychologische Basis zu geben; der letztere lenkt den Blick vorzugsweise auf das Studium der äufseren Faktoren, welche das wirtschaftliche und politische Leben der Menschen bestimmen. Die Bestrebungen beider vereinigend hat Smith Grofsartiges geleistet, wie z. B. die früher besprochene psychologische Analyse des Wirtschaftslebens beweist. Ich erinnere weiter an die Darlegung der Wirkungen der Arbeitsteilung, der Maschinen, der verschiedenen Gesellschaftszustände, des Ansammelns von Kapital u. s. w., insbesondere aber der Gesetzgebung auf die Volkswirtschaft.

Eine genauere Ausführung dieser Skizze ist an dieser Stelle unmöglich; ich werde sie anderswo versuchen. Das Wenige genügt aber zum Beweise, dafs Smith weit davon entfernt war, die abstrakt - deduktive Methode ausschliesslich zu handhaben. Ja, nach meiner Meinung ist sogar ein Übergewicht nach der Seite der empirisch-induktiven Richtung nicht zu verkennen.

Diejenigen täuschen sich also, welche glauben, dafs Smith im Reichtum der Völker" ausschliefslich die abstrakt-deduktive Methode angewandt habe, und diejenigen sind ebenfalls im Irrtum, welche in dem Buche ein Meisterwerk der induktiven Richtung erkennen. Ich freue mich, dafs zwei hervorragende Nationalökonomen Grofsbritanniens, Cliffe Leslie und Ingram, ebenfalls der Ansicht sind, dafs Smith zwei Methoden angewandt habe1

Das Ergebnis lautet also: in unserer Wissenschaft sind schon seit Quesnay und Adam Smith zwei Methoden zur Anwendung

1 Cliffe Leslie, Essays in Political Economy, 2. ed. 1888, p. 21 ff. und John K. Jngram, History of Political Economy 1888, p. 90 ff.

gekommen, wenn auch damals daraus noch kein Methodenstreit entstanden ist.

Damit haben wir eine der Aufgaben erledigt, welche wir uns am Ende des vorigen Paragraphen stellten. Die Beobachtung des Kampfes der mathematischen und der induktiven Methode in der englischen Ethik würde unsere Untersuchung in keiner Weise fördern, obwohl er nicht ohne Einfluss auf unsere Wissenschaft gewesen ist. Hutcheson macht der mathematischen Methode bewusst Opposition und kehrt zu den Baconischen Prinzipien zurück.

Wir wenden uns nun zu dem zweiten Punkt, zur Einwirkung der Naturphilosophie auf die Geisteswissenschaften.

IV.

Die mechanische Psychologie und die Statistik.

Die Philosophen des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts schaffen die moderne Psychologie und gestalten sie zu einer Mechanik der Triebe und Vorstellungen. Für Descartes, den Führer auf diesem Gebiete, ist das Seelenleben ein Kampf der Leidenschaften untereinander und mit der Vernunft. Er betrachtet es als seine Aufgabe, gewisse einfache und notwendige Grundformen aufzufinden und daraus die Passionen abzuleiten. Diese psychologische Betrachtungsweise wird dann in grofsartiger Weise von Spinoza aufgenommen und auf ihren Höhepunkt geführt. Auf dem Gebiete des Erkenntnisvermögens erscheint sie bei Locke. Er sucht zu zeigen, wie sich aus den einfachen Daten unserer Sinne nach bestimmten Gesetzen unsere Vorstellungen bilden1. Durch Hume und David Hartley wird diese Betrachtungsweise in der psychologischen Forschung weiter ausgebildet: nämlich das Seelenleben zu ana

1 Dafs Lockes Bedeutung nicht darin liegt, wie gewöhnlich angenommen wird, zuerst in der neuern Zeit behauptet zu haben, dafs alle unsere Ideen aus Sinneseindrücken stammen, geht schon daraus hervor, dafs Gassendi vor ihm dasselbe lehrte. Toutes les idées qu'on a dans l'entendement tirent leur origine des sens . . . Il n'y a rien dans l'Entendement qui premièrement n'ait esté dans le sens. L'on y doit aussi rapporter ce qui se dit d'ordinaire (!) que l'Entendement est une Table rase... Ceux qui disent qu'il y a des Idées impresses, ou imprimées par la nature et nullement acquises par les sens, ne sauraient ancunement prouver ce qu'ils disent." Bernier, Tome I, p. 10 (Logique). Auch Descartes sagt in seinem Discours s. 1. Méth. (IV): „que même les philosophes tiennent pour maxime dans les écoles qu'il n'y a rien dans l'entendement qui n'ait premièrement été dans les sens," p. 62 der Ausg. der Bibl. Nat. Epikureismus und Stoicismus waren Systeme des Empirismus, bei den Stoikern die Lehre, dafs die Seele ursprünglich eine tabula rasa sei. Damit soll keineswegs geleugnet werden, dafs Lockes Kritik der Lehre von den angeborenen Ideen etwas Neues war.

lysieren, die einfachsten Elemente desselben aufzusuchen und zu zeigen, nach welchen Gesetzen sich aus ihnen neue Gebilde entwickeln. Die weitere Entwicklung der modernen französischenglischen Philologie brauchen wir nicht zu verfolgen: wie Condillac von den zwei Quellen der Lockeschen Erkenntnistheorie den inneren Sinn versiegen liefs und das ganze Seelenleben aus den sinnlichen Empfindungen ableitete, wie die schon bei Hartley vorhandene physiologische Betrachtungsweise der psychologischen Probleme zu ihrem Rechte kam, wie endlich jene schon von Hobbes begonnene Erklärung der psychischen Erscheinungen aus Atombewegungen Nachfolger fand.

Aber, wird man fragen, zu welchem Zwecke ist diese flüchtige Skizze der Entwicklung der Psychologie gegeben worden? Um es zu erklären, weshalb das Selbstinteresse in dem nationalökonomischen Werke Adam Smiths und auch in den Schriften der Physiokraten nicht selten rein mechanisch mit der Regelmässigkeit und Präzision einer Naturkraft wirkt, was die Anwendung des deduktiven Verfahrens aus der Prämisse des universellen wirtschaftlichen Egoismus erleichterte1. Die Methode des Hobbes erhielt durch die Cartesianische Psychologie ihre notwendige Ergänzung: jetzt erst war sie vollendet. Ricardo handhabte sie später in einer so virtuosen Weise, dafs sein Werk zu einer Mechanik des Wirtschaftslebens wurde und nun Versuche zu einer ganz und gar mathematischen Behandlung unserer Wissenschaft gemacht werden konnten. Es war das Ziel, welchem diese Richtung notwendigerweise zustrebt. Mathematiker Descartes und Hobbes hatten eine der Mathematik verwandte Methode in die Geisteswissenschaften eingeführt, und die latent vorhandene Mathematik wurde durch den Genius von Männern wie Canard, Cournot, Gossen, Walras, Jevons wieder frei.

Die

Da in der Folge Nationalökonomie und Statistik vielfach in so enge äufsere Beziehungen zu einander traten, so war es fast selbstverständlich, dafs der Geist, welcher in der Statistik herrschte, auch der Nationalökonomie gefährlich werden musste.

1 Zur Illustration folgender Satz von Adam Smith: Whatever part of it was paid below the natural rate, the persons whose interest it affected would immediately feel the loss, and would immediately withdraw either so much land, or so much labour, or so much stock etc., a. a. O. Diese Handlungsweise setzt egoistische Automaten voraus. Auch diese finden sich hie und da bei Adam Smith z. B. in folgendem Satze: Every individual is continually exerting himself to find out the most advantageous employment for whatever capital he can command, a. a. O. Ähnlich Quesnay. Er nennt den „marchand . . . toujours excité par le désir du gain". Oncken, Oeuvres de Quesnay, p. 748. Dass die Kraft des Selbstinteresses in gleichem Grade wie der Gewinn wächst, sagt Albon: Le mouvement irrésistible de l'intérêt. . . porte à rechercher, à créer, à améliorer des propriétés foncières en raison du plus grand profit qu'elles présentent à leurs possesseurs. Oncken, a. a. O. p. 56.

Dem englischen Zweige jener Disciplin lag aber von Anfang an die Meinung zu Grunde, dafs sich auch im Menschenleben Naturgesetze durchsetzten. Hiernach musste das Reich der menschlichen Freiheit als ein engbegrenztes erscheinen. Dies wurde recht deutlich, als Quetelet die Moralstatistik begründete.

Für Nationalökonomen ist es kaum notwendig, daran zu erinnern, dafs in demselben siebzehnten mathematisch - naturwissenschaftlichen Jahrhundert, welches die Mechanik der Triebe und Vorstellungen in die Psychologie einführte, sich in England die Betrachtung dem Gesetze der Sterblichkeit zuwandte, dafs in der Retorte der statistischen Berechnung der abstrakte Durchschnittsmensch fabriziert wurde, welcher eine so hervorragende Ähnlichkeit mit den andern Durchschnittsmenschen der Wissenschaft und der Kunst1 jener Zeit besitzt, in derselben Periode, wo in Deutschland die Begründer der modernen deutschen Staatswissenschaft den andern Zweig der Statistik auszubilden bestrebt waren.

Die neue Disciplin konnte ebenso wenig wie die Politische Ökonomie dem Schicksal entgehen, im 18. Jahrhundert mit der Idee einer göttlichen Ordnung durchsetzt zu werden. Den Spuren des Theologen Süfsmilch folgte im 19. Jahrhundert der Theologe Alexander von Öttingen. Er führte die Moralstatistik in die Vorstellungswelt des positiven Christentums zurück.

Mit diesen Bemerkungen sind wir jedoch der Darstellung der Entwicklung der Politischen Ökonomie vorausgeeilt; wir kehren zu dieser zurück.

V.

Der Einfluss der Naturphilosophie auf den Deismus und die Gesellschaftswissenschaften.

Auch die Naturreligion sollte durch naturwissenschaftliche und philosophische Erkenntnisse befruchtet werden.

Newton, dem erfolgreichen Vereiniger der Baconischen und Descartesschen Methode, die allerdings schon früher kombiniert worden waren 2, war es gelungen, in der Gravitation ein allgemeinstes Prinzip für die Erklärung aller Bewegungen innerhalb unseres Sonnensystemes aufzustellen. Nun erschien die Welt wie eine grofse Maschine, die auf mechanischem Wege zweckmäfsige Bewegungen vollführt. Damit trat die teleologische Betrachtung der Welt, welche Descartes und Bacon zunächst hatten zurückdrängen müssen, um das naturgesetzliche Geschehen zu verstehen, mit umso stärkerer Gewalt wieder auf, als gerade

1 Geistvolle Bemerkungen hierüber bei Taine, L'ancien régime. Liv. III, chap. 2.

2 Vgl: Dühring, Geschichte der allgemeinen Prinzipien der Mechanik. 1873. Anfang passim.

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