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werden darf. Zu der inneren Verwandtschaft gesellt sich dann die Ähnlichkeit des Ursprungs.

Innerlich geängstigt und abgestofsen von dem, das sechszehnte und siebzehnte Jahrhundert durchtobenden Kampfe der Religionen, Konfessionen und Sekten, welche alle die Wahrheit zu besitzen vermeinen, forscht Herbert von Cherbury nach der wahren Religion, um der Sittlichkeit eine Stütze zu geben und einen Boden des Friedens zu bereiten, wo sich Alle freundlich begegnen können. Er findet, dafs fünf Wahrheiten den Kern aller Religionen bilden: Das Dasein eines höchsten Gottes, die Pflicht seiner Verehrung, Tugend und Frömmigkeit als das Wesentliche der Gottesverehrung, die Verpflichtung, die Sünden zu bereuen und von ihnen zu lassen, Vergeltung teils in diesem, teils in jenem Leben1.

Herbert schrieb in der ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts; er ist ein Zeitgenosse von Hugo Grotius, Francis Bacon, Thomas Hobbes; Anklänge an seine Lehre vernehmen wir schon früher2. Unter seinen Vorgängern ragt Jean Bodin weit hervor. In einigen seiner Äufserungen ist der Zusammenhang zwischen dem Naturrechte und der Naturreligion angedeutet. Er hält die älteste Religion für die wahre und beste, d. h. diejenige, welche das ewige Gesetz der Natur dem Menschen eingiebt und welche die Religion der Urzeit gewesen ist, die Religion der Natur". Die Beobachtung des Naturgesetzes genüge zur ewigen Glückseligkeit.

Bildet bei Bodin das Naturgesetz gewissermalsen die Brücke, die vom Naturrechte zur Naturreligion führt, so offenbart sich bei Herbert jenes Vertrauen auf die der menschlichen Vernunft innewohnende Wahrheit, welches seine Zeit charakterisiert. Der intellectus, das reine Denken". . . bedarf des äussern Dienstes der Gegenstände nicht, sondern erfreut sich seiner eigenen Wahrheiten. Diese Wahrheiten sind nämlich gewisse Gemeinbegriffe, die dem Geiste ursprünglich mitgegeben sind. . . . Fort also mit denen, welche unsern Geist für eine tabula rasa oder abrasa erklären". Sonderbar webt sich in diesen Rationalismus der empirische, inductive Zug des englischen Geistes. Die angeborenen Gemeinbegriffe werden nämlich dadurch entdeckt, „dafs man in Beziehung auf einen bestimmten Kreis von Dingen diejenigen Gedanken aufsucht, über welche allgemeine Übereinstimmung herrscht; denn was in Allem sich auf eine und dieselbe

1 Lechler, Geschichte des englischen Deismus, 1841, S. 42 ff. „Der Gesichtspunkt, unter welchem Herbert die Religion auffafst, ist der sittliche: die Religion ist zu dem Behuf gegeben worden, damit die Menschen zu demjenigen, was sie von selbst thun sollten, verpflichtet würden und zugleich die gemeinsame Eintracht aller gewährt würde."

2 a. a. O. p. 11-26.

3 a. a. O. p. 31. Hier sind die bezeichnendsten Stellen wörtlich angegeben.

Weise verhält, das mufs vom natürlichen Instinkt hergeleitet werden". Da nun die Religion zu den Gemeinbegriffen gehört, so muss man erforschen, was in Beziehung auf sie allgemein anerkannt ist; man vermag so die frivolen und verderblichen Dogmen von den guten und nützlichen zu unterscheiden. Auf diesem Wege gelangt Herbert „nicht ohne genaue und vielfache Analyse und Erforschung der Religionen“ zu den fünf Wahrheiten, die wir vorher erwähnten 1.

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Mit der Veröffentlichung seiner Gedanken leitete er eine grofse geistige Bewegung ein, die fast zwei Jahrhunderte die Gebildeten Europas beschäftigte und unter den verschiedenen Bezeichnungen Deismus“, „Aufklärung", Naturalismus“, „Freidenkertum" überall in der Wertschätzung des mit der natürlichen Religion verbundenen sittlichen Handelns und der Abneigung gegen die Priester und Dogmen der positiven Religion übereinstimmte. Die Wandlungen der deistischen Lehre zu verfolgen erfordert unsere Aufgabe nicht; aber wir müssen im folgenden Kapitel beobachten, wie sie einen wesentlichen Teil des Inhaltes der zeitgenössischen Philosophie in sich aufnahm. Wir werden dann imstande sein, die Aufgabe zu lösen, die am Ende des vorigen Teiles gestellt wurde. Der Deismus bildet das letzte Glied der Kette, mit welcher der Rationalismus den Geist des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts in Fesseln schlägt. Nach allen Richtungen breitet er sich aus; von den Mächten der Wirklichkeit wendet er sich ab: von dem positiven Rechte, der religiösen Sittlichkeit, den überkommenen Religionen; sie erscheinen ihm alle gleich unnatürlich und schlecht. Alles historisch Gewordene mifst er an dem Mafsstab der Vernunft; Recht, Sittlichkeit und Religion sollen zu ihrer unverfälschten Quelle, der Natur zurückkehren.

Und nun zeigt sich eine eigentümliche Erscheinung: der auf die Spitze getriebene Rationalismus schlägt in Historismus um. Der Gedanke tritt nicht selten auf, dafs das wahre Gesetz und die wahre Religion in einer fabelhaften Urzeit gegolten hätten3.

1 Lechler S. 39-42.

2 Herberts Methode hat eine grofse Ähnlichkeit mit der Gleichsetzung des „jus quo omnes gentes utuntur" und des jus quod naturalis ratio constituit". Grotius nennt das ungeschriebene Recht, „das nur die Natur gebietet oder die Übereinstimmung aller Völker bestimmt“, a. a. O. Einleitung 26.

3 Einige Denker nehmen an, dafs das Urchristentum mit der natürlichen Religion identisch, bezüglich die Wiederherstellung derselben sei. Es giebt Naturrechtslehrer, welche der Ansicht sind, dafs der Inhalt des römischen Rechts gröfstenteils mit dem des Naturrechts übereinstimme (wahrscheinlich weil Pufendorf soviel römisches Recht in das Naturrecht herübergenommen hatte); allerdings fehlten ihm die Principien des natürlichen Rechtes. So glaubt man zur selben Zeit, dafs die griechische Kunst das Musterbild für alle Völker und Zeiten sei; in dieser Unklarheit sind auch noch Geister befangen, die im übrigen alle Konsequenz des historischen Standpunktes ziehen.

Diese Ansicht, die wir zuerst bei den Stoikern fanden, regt die Geister an, dem Ursprung der positiven Institutionen nachzuspüren. Ich nenne nur ein Beispiel. Cumberland hat nicht nur ein berühmtes Werk über die „Naturgesetze" geschrieben, sondern auch über die phönizische Religion und die Anfänge der Menschen. Er glaubte Aufschlüsse über die Geschichte der Menschheit vor der Sintflut geben zu können. Es ist schwer, sich aus der Darstellung seines Biographen Payne eine Vorstellung von dem Inhalte jener Werke zu machen; aber er sagt uns sehr deutlich, wie Cumberland zu diesen Studien geführt wurde. Der Papismus machte so grofse Fortschritte in England, dafs Cumberland seine Gedanken darauf richtete de quelle manière l'idolâtrie s'était introduite dans le monde".

Die stoische Lehre von dem goldenen Zeitalter reizte aber auch wieder diejenigen zum Widerspruche, welche sich auf die Entwicklungstheorie des unverfälschten Epikureismus besannen. Und so bahnte der Rationalismus von beiden Seiten her historischer Forschung die Wege.

Wie

Wie aber hätte die rationalistische Zeitströmung eine solche Stärke erreichen können, wenn nicht in den positiven Institutionen so vieles unnatürlich und vernunftwidrig geworden wäre? liefse es sich sonst erklären, dafs man sich an dem Widerspruch der Naturrechtslehrer, die doch alle das für alle Zeiten und Völker geltende Recht verkünden, so wenig stiefs, dafs Bielfeld in seinem bekannten Werke „Institutions Politiques" einmal eine Anweisung für diesen Fall giebt?

Sechstes Kapitel.

Der innere Zusammenhang dieser Disciplinen mit der Philosophie und Naturwissenschaft des 17. Jahrhunderts und die Rückwirkung dieser auf jene.

Die drei idealen Mächte, mit welchen wir uns in den vorhergehenden Kapiteln beschäftigt haben, sind nicht etwa störende Einzelheiten in dem Kulturbilde des 17. Jahrhunderts. Betrachten wir sie im Zusammenhang mit der philosophischen Entwicklung der Zeit, so überrascht uns eine innere Uebereinstimmung, die auf den folgenden Seiten dargelegt werden soll. Jenem Nachweis geht passend eine Betrachtung derjenigen Züge voraus, welche Naturrecht, Natursittlichkeit und Naturreligion miteinander gemein haben.

I.

Gemeinsame Charakterzüge des Naturrechts, der Natursittlichkeit und der Naturreligion.

Sie nehmen erstens an, dass alles positive Recht, der Staat, die Sittlichkeit, Religion bewusste Schöpfungen der Vernunft sind. Sie kamen zu Stande entweder durch Vertrag oder durch Weise, Gesetzgeber, Priester u. s. w. 1. Eine Konsequenz dieses Satzes ist es, das, wenn das positive Recht, die positiven Sitten

1 Die Ansicht, dafs auch die Sprache gemacht worden sei, am plattesten in dem Aufsatze Smiths: „Considerations concerning the first Formation of Languages.“

gebote, die positiven Religionen dem idealen Urbild nicht ententsprechen oder gegen die Gebote der Gerechtigkeit verstofsen, dies bewufstem Übelthun zugeschrieben werden muss, dafs z. B. der Vertrag nicht gehalten wurde oder dafs Fürsten und herrschende Klassen in ihrem Interesse die Gesetze änderten oder selbstsüchtige Priester die Völker betrogen u. s. w.1.

Der erste Teil dieser Behauptung bedarf keines Beweises, der zweite wahrscheinlich noch weniger, da uns diese Anschauung selbst heutigen Tages recht geläufig ist. Aber ich darf vielleicht hinzufügen, dass Adam Smith, einer der Begründer der politischen Oekonomie, diese Meinungen bekannte. Er erörtert am Ende seiner Theorie der moralischen Gefühle, weshalb die positiven Gesetze mit dem Naturrechte nicht übereinstimmen. Daran ist seiner Meinung nach schuld zuweilen, was man die Verfassung nennt und in Wirklichkeit das Interesse der Regierung ist; zuweilen das Interesse herrschender Klassen, welche die Gesetze den Forderungen der Gerechtigkeit entgegen gestalten; zuweilen die Rohheit und Barbarei des Volkes, welche die natürlichen Gefühle der Gerechtigkeit nicht aufkommen lassen; zuweilen die unglückliche Verfassung der Gerichtshöfe.

Hierher stammen jene in dem nationalökonomischen Werke wiederkehrenden Zornausbrüche gegen die Selbstsucht der Kaufleute und Gewerbetreibenden, welche alle die schlechten volkswirtschaftspolitischen Gesetze veranlasst haben.

Ein zweiter Zug ist die Bedeutung, welche jene drei Disciplinen Natur und Vernunft beilegen. Mit Hilfe der Vernunft vermag der Mensch aus seiner eigenen Natur, oder aus der Natur der Dinge, oder aus beiden das Recht, die Sittlichkeit und die Religion zu erkennen 2.

aus:

1 Über diesen Zug des Deismus drückt sich überaus klar Lechler Er war weder für historische Wirklichkeit noch für spekulative Wahrheit rein empfänglich... der historische Pragmatismus, welcher die letzten Gründe des Werdens und Geschehens in den versteckten Absichten und Umtrieben von Individuen findet, wird auch auf die geschichtlich gegebene Religion angewendet. Dieser gesetzlosen, beweglichen Willkür des Individuums gegenüber stellt sich dann eine um so steifere, beschränktere und einförmigere Idealität und Notwendigkeit, in der natürlichen Religion. Diese, im vollen Licht der Wahrheit glänzend, ist von Ewigkeit an absolut vollkommen da, jedem Menschen gegenwärtig und bewufst, keiner Geschichte und Entwicklung, keines Fortschrittes in sich selbst, sondern nur der Entartung und Wiederherstellung fähig, a. a. O. p. 460.

2 Das Vertrauen auf die menschliche Vernunft zeigt sich besonders naiv bei Mercier de la Rivière. Er sagt: „Ce qui nous prouve bien que l'Auteur de la nature a voulu que nous fussions heureux, c'est que tous les hommes sont appelés à cette connaissance: rien de si simple (!) que l'ordre essentiel des sociétés; rien de si facile (!) à concevoir que les principes

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